Keine ORF-Finanzierung ohne politische Abhängigkeit
Der folgende Artikel erschien in leicht veränderter (i. e. lektorierter) und gekürzter Form am 26. April 2019 in “Die Presse” mit dem Titel: So wird die Modernisierung des ORF blockiert
Keine ORF-Finanzierung ohne politische Abhängigkeit
Die Budgetierung und Finanzierung des ORF ist medienpolitisch zweitrangig. Sie bemisst sich nachgelagert nach der Erfüllung seines gesetzlichen Auftrags im Hinblick auf die Versorgung der Bevölkerung mit Grundlagen zum politischen Geschehen, Bildung, Kultur, Identität. Der ORF hat diese unbestrittene Hauptaufgabe technisch, dem jeweiligen Stand der Zeit angepasst, und von Interessen der Regierung und Parteien unabhängig auszuführen. Damit tut sich der ORF schon jetzt – trotz GIS – sehr schwer. Der politische Einfluss ist ein Problem, das sich vom Stiftungsrat bis in die Unternehmensebenen zieht. Dass unter anderem der Generaldirektor politisch besetzt wird, ist nur die Wurzel des Eisbergs.
Darüberhinaus macht der Medienwandel auch dem ORF zu schaffen. Trimedialität zählt zwar schon die letzten 20 Jahre zu seiner Strategie,die Umsetzung bleibt aber hinter dem State of the Art zurück. Die digitalen Plattformen sind bei allem reduzierten Chic überholt, die Möglichkeiten sozialer Netzwerke sind durch eigenes Mitverschulden gesetzlich eingeschränkt und werden hauptsächlich über persönliche Accounts der Mitarbeiter genützt.
Modernisierung als medienpolitische Hauptaufgabe
Der ORF gehört dringend zu einem modernen Public-Value-Medienhaus umgebaut, das sämtliche Möglichkeiten digitaler, vernetzter Kommunikation nützen darf und nützt. Als Neugründung würde seine Infrastruktur schlanker konzipiert, er wäre gezwungen moderne, kooperative Verbreitungsansätze wählen, anstatt seine Senderstruktur nachzurüsten. Dass der ORF als Rundfunkanstalt historischen Ballast mitschleppt, dafür kann er nichts, aber ihm fehlt die Motivation für einen möglichst schnellen Umbau.
Für die Bewahrer des Status Quo ist die Diskussion über die Finanzierung eine willkommene Ablenkung von der Aufgabe der dringenden organisatorischen Neuausrichtung. Ob der ORF sich über Werbung, Gebühren oder aus dem Budget finanziert, ist für die inhaltliche Erfüllung seines Auftrags kategorisch genauso unerheblich, wie es für die Errichtung einer Firewall zwischen Politik und dem Medienunternehmen insbesondere der Redaktionen sein sollte.
Aber gehen wir davon aus, dass wir prinzipiell den Wunsch nach einem modernen öffentlich-rechtlichen Medienhaus, das politisch unabhängig arbeitet, teilen. Wie kann dieser ORF finanziert werden?
Variante 1: Vergebührung der Empfangsgeräte
Heute wird der ORF zu zwei Dritteln über eine geräteabhängige Nutzungsgebühr finanziert. Vor vielen Jahren war das noch fair. Wer einen Fernseher oder Radio besaß, der empfing in aller Regel FS1, Ö1 oder Ö3, nutzte und zahlte. Der wesentliche und irreparable Defekt dieser Variante ist aber, dass durch die Zunahme potenzieller Empfangsgeräte und die Vervielfachung des Angebots auf dem Rundfunkmarkt die enge Bindung von Empfangsgerät und ORF-Nutzung längst aufgehoben ist. Die Gebühr ist nicht treffsicher, weil ihre Zahlung von vielen Nutzern vermieden und von manchen Gebührenzahlern das Angebot nicht genützt wird. Das reicht als Begründung völlig, um die Gebühr in dieser Form abzustellen, die nachweislich nicht gegen politischen Einfluss immunisiert.
Auf Seiten des ORF kam es durch Bevölkerungszunahme und steigender Zahl der GIS-Kunden zu höheren Einnahmen bei gleichbleibender Leistung. Das ist schön für den ORF, aber es wäre angemessen, die Gebühr entsprechend nach unten zu korrigieren, wenn sie auf mehrere Schultern verteilt wird. Tatsächlich wurde sie in den letzten Jahren erhöht, um die Lücke durch den Rückgang der Werbeeinnahmen im Budget zu schließen.
Diese Werbeeinnahmen fehlen übrigens auch den Privaten, deren Entwicklung durch diese Marktverzerrung durch den ORF auch zusätzlich eingeschränkt ist
Variante 2: Vergebührung der Nutzung
Denkbar ist auch, den Zugang zu ORF-Angeboten über Gebühr freizuschalten. Mittlerweile können (bis auf Radiogeräte) alle Kanäle technisch abgeriegelt werden. Wer ORF eins sehen, FM4 online hören oder news.orf.at lesen will, muss zahlen. Dieser Ansatz wiederum verträgt sich aber nicht besonders mit dem flächendeckenden Versorgungsauftrag und nähert den ORF einem Pay-Modell à la Netflix oder Presse Premium an. Gerade der unversperrte Zugang zu den Onlineangeboten sollte aber eine wesentliche Säule in der Erfüllung des Auftrags sein. Eine unabhängige Grundversorgung mit Information zum politischen Geschehen sollte heute nicht an der persönlichen Zahlungsbereitschaft scheitern.
Variante 3: Haushaltsabgabe oder Rundfunksteuer
Die Finanzierung des ORF über eine Haushaltsabgabe vereint die Ungerechtigkeit der bisherigen Gebühr mit der Ungerechtigkeit einer verzerrten Pro-Kopf-Belastung und steht mit ihrer Inkonsequenz zwischen allen Stühlen. Eine Besteuerung von Wohnungen wäre definitiv kein Fortschritt. Eine derartige Abgabe müsste sich, um fair zu sein, als Rundfunksteuer zweckgebunden an den Köpfen wie eine Umlage am Einkommen bemessen und hätte den Charakter einer Kultursteuer bzw. Kultussteuer, ähnlich dem italienischen oder deutschen Modell des Kirchenbeitrags, oder der Arbeiterkammerumlage. Aber was wollen wir noch alles in den Lohnnebenkosten unterbringen? So ein Zuschlag wäre volkswirtschaftlich nur im Rahmen einer Senkung der Beiträge aufs Bruttogehalt fair.
Variante 4: Budget
Wenn der Staat zur Grundversorgung mit Public-Value-Inhalten ein Medienhaus betreiben und seine Finanzierung sicherstellen will, weil das mehrheitlich so gewollt ist, dann ist es würdig und recht, die Kosten dafür auch im Budget abzubilden. Vorsicht ist geboten, wenn der Hauptkritikpunkt der erhöhten politischen Abhängigkeit vermieden werden soll. Tatsächlich wäre eine Lösung, die jährliche Budgetverhandlungen mit großen Schwankungsbreiten erlaubt, wie Gegner der Budgetfinanzierung einwenden, fatal. Aber das kann durch die Planungssicherheit mehrjähriger Budgetierungen und die Auszahlung über dritte Stellen, wie beispielsweise einen unabhängigen Public-Value-Fonds als Medienförderung, die auch den ORF umfasst, abgefedert werden. Schon jetzt bedeutet der Rückgang in den Werbeeinnahmen beim ORF vermutlich ein größeres Delta als jede prognostizierte Abweichung in zukünftigen Budgetplänen. Wenn eine unabhängige Justiz, ein unabhängiger Rechnungshof oder Kultureinrichtungen aus dem Budget finanziert werden können, dann kann das auch mit einem unabhängigen ORF gelingen.
Um der Vollständigkeit der Varianten genüge zu tun: Natürlich wäre es auch denkbar, den ORF gänzlich über den Markt zu finanzieren oder gleich zu privatisieren. Aber das sind keine Finanzierungsmodelle, die mit den eingangs erwähnten medienpolitischen Zielen zusammenpassen, selbst wenn der Auftrag eines derartigen Modells gesetzlich normiert ist.
Der Zusammenhang zwischen Finanzierungsform und politischer Abhängigkeit ist bei einem über gesetzliche Verpflichtungen finanzierten Unternehmen zwangsläufig gegeben – auch jetzt steht es dem Gesetzgeber frei, das ORF-Gesetz und die Grundlagen seiner Finanzierung zu ändern – aber de facto wirkt die politische Verzahnung durch Gremien und gelebte Governance viel stärker.
Die Befürworter der derzeitigen Gebührenfinanzierung wissen das und versuchen, die Öffentlichkeit demagogisch mit der Warnung vor einem budgetfinanzierten Staatsfunk zu täuschen und damit die derzeitige Finanzierung und die mächtige Infrastruktur aus dem terrestrischen Rundfunk herübergeretteter Sender und Landesstudios samt Programmierung zu erhalten. Sie verhindern damit echte Entpolitisierung und nehmen in Kauf, die Aktualisierung des ORF zu blockieren.
Für jene, die sich dergestalt an die GIS gekettet haben, mag es schwer vorstellbar sein – aber tatsächlich ist es möglich, dem öffentlich-rechtlichen Medienhaus wohlwollend gegenüberzustehen und gleichzeitig das Ende der Gebührenfinanzierung als notwendigen Teil seiner Modernisierung zu sehen.
(Ein mittlerweile veralteter) Disclaimer zum Artikel
Wenn man, wie ich selbst, in einem Medienunternehmen arbeitet und dann die Arbeit und Organisation eines Marktbegleiters kritisiert, dann liegt bei manchen der Verdacht nahe, ich wäre aus einer vermeintlichen Konkurrenzsituation heraus motiviert, den ORF schädigen zu wollen. Schlimmer noch: Ich war Mediensprecher einer Parlamentspartei. Was ich schreibe, ist doch einfach nur NEOS-Position, oder?
Jetzt ist es aber so, dass ich auch etwas mit Medien studiert habe, gut 20 Jahre in der Branche arbeite und mir zum Thema doch schon einige Gedanken gemacht habe, bis hin zum politischen Aktivismus eine Beschwerde beim VfGH gegen das Social-Media-Verbot des ORF einzubringen – weit vor meiner Zeit im Parlament. Mir liegt tatsächlich etwas an einer Medienlandschaft, die größtmöglichen Freiraum für unternehmerisches Medienschaffen bietet – sonst hätte ich nicht unternehmerisch selbst Medien (mit)entwickelt (u. a. The Gap, Biorama) oder nach Österreich importiert (VICE) –, aber auch gewährleistet, dass daneben ein öffentlich-rechtliches Medienhaus existiert, das zumindest solange die Grundversorgung mit Information, Kultur und Bildung bieten kann, als nicht absolut sichergestellt ist, dass der freie Markt, dieses Mandat dauerhaft wahrnehmen wird. Diese Annahme ist aus meiner Sicht spekulativ und daher unsicher genug, den ORF als öffentlich-rechtliches Medienhaus nicht aufs Spiel zu setzen, sondern ständig den Möglichkeiten der Zeit anzupassen. Dazu braucht es aber mehr als ein neues Logo für einen Fernsehsender.
An meiner Meinung hat sich über die Zeit im Kern nichts geändert. Das alles ist auch in den von mir konzipierten medienpolitischen Papieren von NEOS wiedergegeben, mit ebensolcher Unabhängigkeit von meinem politischen Mandat wie dieser Artikel von meinem derzeitigen Arbeitgeber.
1 Comment
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[…] Der punktuelle Zusammenprall zwischen ORF und Regierung ist in den letzten Wochen unübersehbar geworden. Mich beschäftigt das Thema Medienpolitik schon lange. Letzte Woche gab von mir es zur Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks (bzw. eigentlich Medienhauses) einen etwas längeren Gastkommentar in der Presse. […]