Gebt Alles! Die Erziehung zur Selbstzensur.
Regierungen erwecken den Eindruck sammelwütige Messies zu sein. Sie speichern alles, ohne wirklich zu wissen, wofür sie es einmal brauchen werden: Fingerabdrücke, Konten, Vorratsdaten, …
Wir befinden uns damit auf dem Beschleunigungsstreifen zum Überwachungsstaat. Die Umerziehung zur politisch korrekten Selbstzensur bringt uns dann gleich auf die Überholspur.
Diese Woche lief die Begutachtungsfrist für das neue Polizeiliche Staatsschutzgesetz (PStSG) ab. Die Rezeption des Entwurfs erfolgt kritisch bis ablehnend. Richter, Anwälte, amnesty international, Die Grünen und auch NEOS kritisieren die gleichen Punkte, u. a. Vertrauenspersonen, Rechtsbeauftragter, fehlende parlamentarische Kontrolle.
Dieses Gesetz wird im Juli beschlossen werden und steht in keinem unmittelbaren Zusammenhang mit Terror-Anschlägen in Europa. Es ist aber natürlich auch eine Folge terroristischer Aktivitäten, wie z. B. des Islamischen Staats, die durchaus nachvollziehbar auch Grenzen der Ermittlungsmethoden aufzeigen. Es gibt also gute Gründe hier ein Gesetz zu machen, das gut vorbereitet ist. Der Vorsatz mag sogar vorhanden gewesen sein, im Ergebnis trägt es dennoch zu einer weiteren Verschärfung des Überwachungsstaates bei, sogar bei dieser mittelfristigen, vorbereiteten Maßnahme.
Bei kurzfristigen legislativen Reaktion auf Terroranschläge werden Bedenken noch schneller ausgeblendet. Nach 9/11 wurden 238 Anti-Terror-Maßnahmen auf EU-Ebene beschlossen. Und auch nach dem Anschlag auf die Redaktion von Charlie Hebdo in Paris am Anfang des Jahres wurde wieder darüber nachgedacht das Instrumentarium auszubauen. Die zuständigen Ministerien in Deutschland und Österreich fiebern einer Nachfolgeregelung zur vom EuGH verbotenen Vorratsdatenspeicherung entgegen.
Durch solche Kurzschlussreaktionen werden die Anschläge auf unsere demokratischen Grundfreiheiten, auf die Meinungsfreiheit überhaupt erst erfolgreich. Die Freiheit wird weiter eingeschränkt. Die vorhandenen Maßnahmen werden nicht evaluiert, sondern einfach erweitert. Das alleine ist schon unverständlich; denn ehe ich neue Werkzeuge kaufe, schaue ich doch nach, was ich im Kasten habe und überlege mir dann, ob ich überhaupt noch etwas brauche.
Diesen Standpunkt bringen wir regelmäßig in den Ausschüssen ein. Der Arbeitskreis Vorratsdaten (AK Vorrat) ging noch einen Schritt weiter und hat einen Handlungskatalog zur Evaluierung von Anti-Terror-Gesetzen (HEAT) entwickelt, der von NEOS und „Die Grünen“ in Form von 43 parlamentarischen Anfragen eingebracht wurde. Wir wollten – wenn die Regierung schon selbst nicht daran interessiert ist – gemeinsam herausfinden, welche Maßnahmen wie gut oder schlecht funktionieren.
Die ersten Ergebnisse wurden diese Woche bei einer gemeinsamen Pressekonferenz von AK Vorrat (Christof Tschohl), Die Grünen (Albert Steinhauser) und NEOS (ich) präsentiert.
Zusammengefasst (siehe auch Artikel auf derStandard.at):
Die Antworten waren wenig ergiebig oder wurden mit Hinweis auf Amtsverschwiegenheit ausgeschlagen. Kollege Albert Steinhauser hat es bei der Pressekonferenz zusammengefasst: “Die Regierung weiß nichts, außer dass sie mehr überwachen will”. Dieses breite Nicht-Genau-Wissen räumt auch Innenministerin Mikl-Leitner selbst ein:
„Statistiken über die Erfolgsrelevanz von sicherheitspolizeilichen Überwachungsmaßnahmen im Hinblick auf die Aufklärungsquote werden nicht geführt. Im Regelfall trägt nicht nur eine einzige sondern eine Vielzahl von Ermittlungsmaßnahmen zur Verhinderung bzw. zur Aufklärung von Straftaten bei.“
Genau diese Gesamtschau in Form einer Überwachungsgesamtrechnung ist dringend anzustellen, weil einzelne Maßnahmen oft oberflächlich betrachtet keinen schwerwiegenden Eingriff in die Privatsphäre einstellen, im Verbund, aber persönliche Freiheiten über Gebühr einschränken.
Abschließend: Ein konkretes Beispiel aus der Anfragebeantwortung für die Planlosigkeit der Überwachungsmaßnahmen sind die gesammelten Daten zu Fingerabrdrücken in Reispässen: In den 6 Jahren seit der Einführung von Fingerabdrücken im Reisepass ist kein einziges gefälschtes Dokument oder ein anderer Betrugsversuch aufgrund der gespeicherten Fingerabdrücke erkannt worden. Der Grund dafür ist ganz einfach: weder im In- noch im Ausland wurden bislang Lesegeräte installiert, die über eine Zugriffsberechtigung für die Fingerabdrücke verfügen. Ein Auslesen im Zuge von Passkontrollen ist also momentan noch nicht möglich. Hier handelt es sich um einen Grundrechtseingriff, der auch noch nach 6 Jahren keinem sichtbaren Nutzen gegenübersteht.
Massenüberwachung führt zur Selbstzensur
Selbst wenn die Überwachungsmaßnahmen direkt nichts bringen oder die Datensammlung nur auf dem Haufen der Behörden-Messies landen, haben sie einen Effekt gewiss: Sie führen zu Selbstzensur.
Das Gefühl beobachtet zu werden – egal ob diese Beobachtung stattfindet oder nicht – führt zu einer Änderung im Verhalten. Menschen kleben ihre Laptopkameras ab, verwenden Filterfolien für Handydisplays, sprechen Dinge nicht mehr aus, geschweige denn sie niederzuschreiben bzw. zu posten. Im Rahmen der Meinungsfreiheit völlig unbedenkliche Äußerungen werden nicht getätigt, weil sie öffentlich werden könnten.
Die Steigbügelhalter dieser Entwicklung sind leider oft Menschen, die soziales Controlling mit sozialem Trolling verwechseln. Es sind die Hilfssheriffs der Political Correctness, die die Einhaltung der Tempolimits dadurch gewährleisten, dass sie auf der linken Spur 120 fahren und niemanden vorbeilassen. Wer Meinungsfreiheit so auslegt, dass die eigene Meinung unbedingten Vorrang hat, trägt zusätzlich seinen Teil dazu bei, dass Meinung unterdrückt wird.
So wie Überwachung dazu führt, dass Meinung unterdrückt wird. Massenüberwachung ist eine psychologische Verletzung der Meinungsfreiheit.
Geschieht das strategisch? Ich kann es mir nicht vorstellen. Hier treffen technische Unwissenheit, Sorglosigkeit im Umgang mit Grundrechten und eine generelle Respektlosigkeit gegenüber Bürgerrechten aufeinander. Und das begleitende legislative Verhalten findet seine Fortsetzung in geplanten Bestimmungen, die ebenso unser Grundrecht auf Privatheit weit über ein erträgliches Ausmaß anschneiden, wie die Aufhebung des Bankgeheimnisses und die Zurückdrängung des Bargelds. Damit kann gegebenfalls jede Transaktion rückverfolgt werden.
Muss ich mir jetzt bei jedem Kauf überlegen, wie das eventuell gegen mich verwendet werden kann (siehe dazu NZZ.at bzw. Artikel von Gerald Loacker)? Derartige Maßnahmen führen dazu, dass unbedenkliches Verhalten geändert und angepasst wird. Das ist weit weg von sozialer Kontrolle und der Regulierung von unethischem Verhalten. Das ist Ausspähung auf Halde.
Die meisten von uns – also zumindest jene, die nicht nach einer staatlichen Regelung ihres eigenen Verhaltens verlangen – wollen die Freiheit, ein selbstbestimmtes Leben führen zu können. Gesetze, die diese grundlegende Freiheit ohne Not einschränken, stehen dem eindeutig im Weg. Egal, ob sie dazu dienen, Terror oder Steuerbetrug zu bekämpfen, der Preis dafür, seine Freiheit aufzugeben, ist einfach zu hoch.