Male Genital Mutilation
Mein Artikel „Beschneidungsverbot: Die Religionsfreiheit darf nicht beschnitten werden“ ist mittlerweile in der Presse als Gastkommentar erschienen und bedarf angesichts der Entwicklung in der öffentlichen Diskussion eines erklärenden Zusatzes. Bislang dachte ich, dass es allen Beteiligten im Diskurs ziemlich klar ist, worum es beim Beschneidungsverbot geht. Doch die vielen Kommentare und Blogposts zu dem Thema legen das Gegenteil nahe. Daher möchte ich an dieser Stelle einige Argumente ordnen, auch wenn ich an dieser Stelle auf die mittlerweile veröffentlichen exzellente Ausführungen von Wolfgang Schmidbauer (SZ) und insbesondere Matthias Krause (hpd) zu dem Thema verweisen muss.
Worum geht’s denn wirklich?
Das Urteil des deutschen Gerichts bezieht sich auf die religiöse Beschneidung von nicht einwilligungsfähigen Minderjährigen. Es ist eine Abwägung des Rechts der Religionsausübung der Eltern versus die Religionsfreiheit des Kindes, sowie sein Recht auf körperliche Unversehrtheit. Es geht darum, ob Erwachsene im Rahmen der Ausübung ihrer eigenen Religionsfreiheit andere, in diesem Fall ihre Kinder in deren sexueller Empfindung unwiderruflich beschneiden also sexuell Verstümmeln dürfen.
Die angeführten Gründe für die religiöse Beschneidung sind – wie es das Adjektiv religiös unmissverständlich ausdrückt – auch ausschließlich religiöser Natur, sowohl bei Muslimen:
Der Prophet Mohammed kam laut einer Überlieferung ohne oder mit einer sehr kurzen Vorhaut zur Welt. Die Beschneidung wird heute bei Muslimen als ein Zeichen der Religionszugehörigkeit im Kindesalter – bis zum Alter von 13 Jahren – durchgeführt. (Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Zirkumzision)
als auch bei Juden:
Durch die Beschneidung des männlichen Gliedes wird das Kind in diesen Bund aufgenommen. Sie ist auch ein Zeichen verpflichtender Gemeinschaft des einzelnen Juden mit seinem Volk. Wer daher seinen Sohn nicht beschneiden läßt und derjenige, der dies auch nach Vollendung des 13. Lebensjahres nicht nachholt, stellt sich außerhalb des Bundes zwischen Gott und dem Volk Israel (Quelle: http://www.zentralratdjuden.de/de/topic/205.html)
Die Beschneidung ist eine religiöse Markierung (© Sybille Hamann), eine Machtdemonstration, die gezielt an Minderjährigen durchgeführt wird. Wären nicht die religiösen Gründe ausschlaggebend und wären nicht Minderjährige betroffen, würden wir diese Diskussion nicht führen.
Worum geht es nicht?
Es geht also nicht darum, dass Beschneidung an sich verboten werden soll, jeder Erwachsene Mensch hat das Recht über seinen Köper, seine Gesundheit und sein Leben selbst zu entscheiden.
Es geht nicht darum, ob Beschneidung einen notwendigen medizinisch therapeutischen Eingriff darstellt.
Es geht nicht darum, die Religionsfreiheit der Muslime und Juden einzuschränken.
Es geht nicht, um die Einschränkung von Minderheitenrechten.
Es geht im konkreten Fall auch nicht um FGM (Female Genital Mutilation), mehr dazu aber weiter unten.
Welche Argumente bringen die Urteilsgegner?
1) Die Religionsfreiheit wird eingeschränkt.
Das stimmt und stimmt nicht. Die Religionsfreiheit der Eltern wird dahingehend eingeschränkt eine religiöse Handlung an ihren Kindern durchführen zu lassen. Gleichzeitig wird aber die Religionsfreiheit der Kinder dadurch erweitert, dass dieser irreversible und schädigende Eingriff nicht einfach ohne Zustimmung des Kindes angewendet werden kann.
In ähnlicher Weise wird und wurde die Religionsfreiheit eingeschränkt, indem das Verbrennen von Hexen, der Ablasshandel, das Steinigen von Ehebrecherinnen, das Abhacken der Hände von Dieben usw. verboten wurde. Nota bene: Vergleiche sind keine Gleichsetzungen. Dass mit schlimmeren Unrechten früher aufgeräumt wurde, ist nur logisch.
2) Das Urteil oder begleitender Applaus sind Ausdruck von Islamophobie und Antisemitismus.
Das stimmt einfach nicht und es ist unerträglich, dies allen Befürwortern zu unterstellen. Mir fällt es schwer das überhaupt als rationales Argument anzunehmen, wenn es wie von Mary Kreutzer vorgetragen wird: „…applauding an arian court which ruled against a minority, in germany (!!!)”. Ein deutsches Gericht im Jahr 2012 als “arisches Gericht” zu bezeichnen ist im freundlichsten Fall als Ausdruck von Xenophobie zu werten. Damit kann ich nichts anfangen.
Sybille Hamann formuliert es weniger drastisch und bezieht gleich pauschalierend alle Befürworter des Urteils mit ein:
„Muslimischen Zuwanderern solche Markierungen zu verbieten ist schlimm genug. Wenn ein deutsches Gericht deutschen Juden solche Markierungen verbietet, unter anfeuerndem Applaus des Publikums – dann ist das unerträglich.“
Es geht hier aber, wie sie unterstellt, gar nicht darum Beschneidung grundsätzlich zu verbieten. Wir reden ausschließlich von religiöse Beschneidungen, durchgeführt an Minderjährigen, gegen deren Willen.
3) Es gibt medizinische Gründe für die Beschneidung. Die Beschneidung ist eine Penisverbesserung.
Ein Plädoyer für eine säkulare Diskussion unterstütze ich. Und ich bin der Meinung, dass diese Diskussion, gerade weil es um die Religionsfreiheit und ihre Vereinbarkeit mit Menschenrechten geht, im Kern auch säkular ist.
Jegliche medizinische Argumente sind in der primären Diskussion völlig irrelevant. Das Urteil bezieht sich auf religiöse Beschneidungen und ist auch nur im Kontext der Religionsfreiheit zu bewerten. Ob Beschneidungen als therapeutische Maßnahme so gut geeignet sind, dass sie dann gleich flächendeckend angewendet bzw. empfohlen werden soll, kann gerne diskutiert werden.
Eine solche Diskussion muss sich aber an die erwachsene männliche Bevölkerung wenden. Den volljährigen Männern sollten Argumente für und gegen die Beschneidung, nahegebracht werden. Diese können sich dann, nach ausführlicher Information dafür oder dagegen entscheiden.
Es ist entlarvend, wenn angebliche medizinische Gründe für die Beschneidung Minderjähriger vorgebracht werden, die definitionsgemäß diese Argumente nicht abwägen und sich nicht wehren können.
Es ist aber tatsächlich eine Diskussion, bei der ein mögliches (!) Ergebnis nicht als Argument vorweggenommen werden darf. Und gegebenenfalls ist das Ergebnis dann für die ganze männliche Bevölkerung relevant und nicht nur für Kinder von jüdischen oder muslimischen Eltern. Die männliche Physis ist nämlich wenig überraschend völlig agnostisch und hält sich so gar nicht an religiöse Vorstellungen.
4) Dann müssen wir auch Ohrringe diskutieren
Ja natürlich! Das mag nach einer Kleinigkeit klingen, aber sie ist Ausdruck desselben Prinzips. Wenn Kindern ohne deren Wunsch und Zustimmung im Babyalter Ohrlöcher gestochen werden, dann ist das ein Eingriff, der nicht in Ordnung ist, auch wenn er harmlos ist im Vergleich zur sogenannten Beschneidung, bei der der sensibelste Teil der Vorhaut am Penis einfach entfernt wird. Wenn Werner Reiter als Vater seiner Tochter erlaubt, dass sie Ohrringe kriegt, dann passiert das auf ihren Wunsch. Ein fundamentaler Unterschied!
Es gibt vermutlich wenige Fälle von kleinen Buben, die sich mit dem Wunsch einer Beschneidung an ihre Eltern wenden.
Sybille Hamann meint: „Wer sich mit Muttermalentfernungen, Zeckenimpfungen, Zahnspangen, Tattoos und Ohrringen arrangieren kann, müsste auch den Verlust einer Vorhaut für verkraftbar halten.“
Muttermalentfernungen, Zeckenimpfungen und Zahnspangen haben medizinische Gründe, keine religiösen, Frau Hamann! Bei der Beschneidung von Buben, wird jedoch ganz ähnlich wie bei der Beschneidung von Mädchen deren Sexualität gezielt ‚beschnitten’. Ohne Notwendigkeit aber dafür mit einem gesundheitlichen Risiko, welches bewusst in Kauf genommen wird. Aus diesem Grund hat u. a. die Frauenbewegung richtigerweise durchgesetzt, dass die Beschneidung von Mädchen als das bezeichnet wird, was sie tatsächlich ist: FGM, Female Genital Mutilation, sexuelle Verstümmelung. Genau das gleiche ist jedoch auch die verharmlosend genannte Beschneidung von Buben. Die Tatsache, dass diese meist harmloser verläuft als die Beschneidung von Mädchen, ändert nichts an dem Charakter des Eingriffs, dass es eine fremdbestimmte und lebenslange sexuelle Verstümmelung darstellt, die an Minderjährigen durchgeführt wird.
5) Die Aufklärung darf nicht von Deutschland aus passieren
Werner Reiter schreibt, wir müssen die Beschneidung aushalten. Ich bin nicht seiner Meinung, obwohl ich seine Argumentationslinie nachvollziehen kann, die schlussendlich das gleiche Ziel, aber einen anderen Weg vor Augen hat:
Ich würde über dieses Urteil jubeln, wenn es in einem Land mit jüdischer oder muslimischer Mehrheit gefällt worden wäre. Das wäre ein wünschenswertes Zeichen von Laizismus. Im konkreten Fall bin ich der Meinung Dostals: Wir müssen das aushalten. Wir werden das Thema nicht in Deutschland (und in Österreich schon gar nicht) lösen können. Wir sollten darüber diskutieren, aber nicht verbieten.
Dennoch schreibt sich das leichter, als es ist. Zunächst waren im gegenständlichen Fall ein Gericht gefordert ein Urteil zu sprechen, und es wäre falsch gewesen, hätte es die Beschneidung an Minderjährigen aus religiösen Gründen legalisiert. Die Diskussion findet jetzt im Nachhinein statt und es ist wie so oft eine Frage der Grenzziehung. Welche religiösen und menschenrechtsfeindlichen Ideologien und Handlungen müssen wir aushalten und wozu und wie lange und wer bestimmt das eigentlich? Müssen wir Zwangsehen oder die Steinigung auch aushalten? Warum das nicht?
Nicht wir müssen etwas aushalten, sondern die Fundamentalisten der Welt müssen aushalten, dass sie nicht alle Menschen terrorisieren können. Sie müssen aushalten, dass ihre Macht nicht überallhin reicht. Sie müssen aushalten, dass ihnen andere Menschen einen sachlichen Diskurs aufzuwingen, den sie nicht mit den bewährten Mitteln ersticken können.
Im Gegenteil, sollte die Minderheit an vernünftigen Menschen in denjenigen Regionen der Welt, in denen die Fundamentalisten die Mehrheit haben froh sein, dass wir uns nicht dem Diktat des Fundamentalismus beugen.
Religiöse Menschen dürfen Respekt erwarten. Allerdings Respekt für ihre private Tätigkeit des Glaubens. Sie dürfen nicht erwarten, dass andere Menschen und Gesetze, sich ihrem Diktat des Glaubens beugen.
Ein Blick nach Schweden zeigt, dass es durchaus westliche Länder gibt, die in dieser Sache auch schon erste Schritte gesetzt haben:
Am 1. Oktober 2001 trat in Schweden – nach einer längeren öffentlichen Debatte wegen des Todes mehrerer Babys durch Beschneidungen – ein neues Gesetz in Kraft, das Beschneidungen ohne medizinische Begründung bei Jungen, die älter als 2 Monate sind, generell verbietet. Beschneidungen an jüngeren Babys dürfen nur noch unter Betäubung und in Anwesenheit eines Arztes vorgenommen werden. Schweden ist damit das erste Land der Welt, das rituelle Beschneidungen, die ohne persönliche Zustimmung der Betroffenen vorgenommen werden, durch Gesetz ausdrücklich eingeschränkt hat.
(Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Zirkumzision#Situation_in_Schweden)
Die Grenze von zwei Monaten ist nicht nachvollziehbar, aber es ist eine positive Entwicklung. Werden in Schweden Minderheiten weniger respektiert?
Zusammenfassend
Die religiöse Beschneidung ist eine religiöse Markierung und sexuelle Verstümmelung, (MGM), die selbstverständlich auf eigenen Wunsch und Verlangen von volljährigen Menschen durchgeführt werden kann. Beschneidungen an Kindern, sind aus zwei grundrechtlichen Überlegungen nicht angemessen:
1)
Durch die religiöse Beschneidung wird die Religionsfreiheit des Kindes verletzt, die gewährleistet, sich seine Religion oder Weltanschauung selbst aussuchen zu dürfen und nicht religiös markiert zu werden.
2)
Die Beschneidung ist de facto eine sexuelle Verstümmelung und verletzt damit das Recht auf körperlichen Unversehrtheit.
Richtig ist, dass der Fall exemplarisch, symbolhaft ist für die Spannung zwischen Laizität und Religionsfreiheit. Deswegen ist die Kritik an dieser tradierten Überdehnung der Religionsfreiheit der Eltern (!) aber nicht weniger berechtigt.
Off topic: Diese Anmaßung steht mir nicht zu, aber was spricht eigentlich dagegen das Kind muslimischer oder jüdischer Eltern ab einem gewissen Alter selbst entscheiden zu lassen? Die religiösen Gesetze scheinen das auf den ersten Blick zu ermöglichen.
6 Comments
Join the discussion and tell us your opinion.
“Off topic: Diese Anmaßung steht mir nicht zu, aber was spricht eigentlich dagegen das Kind muslimischer oder jüdischer Eltern ab einem gewissen Alter selbst entscheiden zu lassen? Die religiösen Gesetze scheinen das auf den ersten Blick zu ermöglichen.”
Dagegen spricht, dass die Eltern, wenn sie sehr religiös sind, das Kind auch in einem gewissen Alter zu beeinflussen versuchen und Druck machen würden. Ein generelles Verbot wäre ein 1. Schritt. Ich fände es spannend, wenn das durch geht, dann auch mal grundsätzlich zu diskutieren, ob es nicht gegen die Religionsfreiheit von Kindern ist, sie als Babys taufen zu lassen und ihnen damit eine Religion aufzuzwingen.
Trifft eigentlich das Bundesgesetz über die Durchführung von ästhetischen Behandlungen und Operationen (ÄsthOpG) auch auf diese Art der MGM zu? Dann wäre das Thema für Österreich klar geregelt: frühestens mit 16.
sorry, aber die beschneidung von männern mit der genitalverstümmelung von frauen gleichzusetzen, ist hochgradig unseriös. das motiv und die auswirkungen sind gänzlich verschieden.
An keinem Punkt im Text findet eine Gleichsetzung statt. Eine Gleichsetzung wäre in der Tat unseriös.
Petition gegen rituelle Beschneidung
20. Juli 2012
Text der Petition
Der Deutsche Bundestag möge beschließen, Personensorgeberechtigten jede rituelle, medizinisch nicht indizierte Beschneidung eines Jungen (Zirkumzision) oder eines Mädchens (nach der Typisierung der World Health Organisation die FGM vom Typ I, II, III, IV) im Hinblick auf die Verwirklichung der körperlichen Unversehrtheit des Kindes oder Jugendlichen bis zu dessen Volljährigkeit zu untersagen. Um dem Individuum die Option auf ein Leben mit unversehrten Genitalien und mit der Option auf eine selbstgeschriebene Biographie zu ermöglichen, insbesondere im Hinblick auf die Entscheidung, ob eine lebenslange Sexualität mit oder ohne Präputium (Junge) oder Klitorisvorhaut (Mädchen) verwirklicht wird, möge der Bundestag beschließen, in das Bürgerliche Gesetzbuch Buch 4 Familienrecht Abschnitt 2 Verwandtschaft Titel 5 Elterliche Fürsorge § 1631 Inhalt und Grenzen der Personensorge einzufügen:
§ 1631d
Verbot der rituellen Genitalmutilation
Die Eltern können nicht in eine rituelle, medizinisch nicht indizierte Beschneidung ihres Sohnes (Zirkumzision) oder ihrer Tochter (nach der Typisierung der World Health Organisation die FGM vom Typ I, II, III, IV) einwilligen. Auch das Kind selbst kann nicht in die Beschneidung einwilligen. § 1909 findet keine Anwendung.
http://eifelginster.wordpress.com/2012/07/21/297/
Unterschrift für Moratorium Beschneidung noch bis zum 11. 10. 2012 möglich:
https://epetitionen.bundestag.de/content/petitionen/_2012/_07/_23/Petition_26078.html