Die Beschneidung muss endlich gesetzlich geregelt werden
Dieser Beitrag erschien als Gastkommentar in der Wiener Zeitung vom 12. Juli 2012.
Die körperliche Züchtigung von Kindern durch ihre Eltern wurde in Österreich erst in den 1970-er-Jahren unter Strafe gestellt. Der therapeutische Effekt der g’sunden Watsch’n spielte bei dieser Änderung der Rechtslage sicher keine Rolle. Genauso wie behauptete medizinische Vorteile für das Urteil des Kölner Gerichts zur Beschneidung von nicht einwilligungsfähigen Minderjährigen irrelevant waren. Die Entscheidung fußt auf dem Grundrecht auf körperliche und geistige Unversehrtheit (Artikel 3, Charta der Grundrechte der Europäischen Union) des Kindes, dem der Vorzug gegenüber der Religionsausübung der Eltern gegeben wurde.
Da die Pflicht zur Beschneidung für Juden und Muslime religiös begründet wird, muss diese Handlung auch im Rahmen der Religionsfreiheit bewertet werden, die sich selbst nur im grundrechtlichen Rahmen bewegen kann. Die Religionsfreiheit des Kindes, sein Bekenntnis frei zu wählen oder abzuwählen, als Ausdruck der individuellen Selbstbestimmung wird bis zum Eintritt der Religionsmündigkeit von den Eltern verwaltet. Das Elternrecht auf religiöse Sozialisation steht im Rahmen der Debatte aber sicher nicht zur Disposition. Dass Eltern ihre Weltanschauung, politische Orientierung etc. vor den Kindern nicht geheim halten, sondern diese auch weitergeben wollen und dürfen, ist selbstverständlich. Doch beim Körper des Kindes ist eine Grenze erreicht, die aus religiösen Gründen alleine nicht überschritten werden darf. Wenn, wie im Fall der religiösen Beschneidung, keine medizinische Indikation vorliegt, handelt sich um eine religiöse Markierung und Körperverletzung.
Ob diese Vor- oder Nachteile mit sich bringt, muss, gerade angesichts der öffentlichen Debatte, die das Urteil ausgelöst hat, diskutiert werden. Denn die betroffenen Eltern und Religionsgesellschaften haben das Recht auf eine klare gesetzliche Situation. Der politische Entscheidungsfindungsprozess beginnt aber nicht bei null. Das Kölner Urteil spiegelt sehr wohl die aktuelle Rechtslage wider, auch wenn es manche leugnen, wie der dieser Tage oft zitierte katholische Theologe und UN-Sonderberichterstatter zur Religions- und Weltanschauungsfreiheit Heiner Bielefeldt, der das Urteil als „hingerotzt“* bezeichnet. Dabei gibt gerade die UN-Kinderrechtskonvention in dieser Sache eine klare Handlungsanweisung vor, wonach die Vertragsstaaten angehalten sind „alle wirksamen und geeigneten Maßnahmen [zu treffen], um überlieferte Bräuche, die für die Gesundheit der Kinder schädlich sind, abzuschaffen.“ (Artikel 24, ÜRK)
Bei allem Respekt für Tradition und Brauchtum (egal ob religiös oder nicht) die Grenzen dessen, was ethisch geboten und gesetzlich erlaubt ist, verschieben sich permanent. Eine gewisse Flexibilität in den religiösen Vorschriften würde eine simple Lösung ermöglichen: Der Zeitpunkt der Beschneidung kann einfach so gewählt werden, dass der Betroffene selbst entscheiden kann – entweder bei Eintritt der Religionsmündigkeit (in Österreich mit 14) oder der Volljährigkeit.
* Tagung „Religionsfreiheit im Zeichen der Globalisierung und Multikulturalität“, Salzburg 6. Juli 2012