Woran wir glauben
Am 10. April war ich bei einer Veranstaltung der Waldviertelakademie an der Donau-Universität Krems eingeladen, einen Vortrag zu halten (mit anschließender Diskussion) zum Thema “Woran wir glauben! Wie wichtig ist Religion für uns?”
(Details siehe Einladung.)
Der folgende Text ist keine genaue wörtliche Wiedergabe des Vortrags, aber ziemlich nah dran.
“Der Mensch glaubt, weil er nicht anders kann.” Dieses Zitat steht im Einladungstext zu dieser Veranstaltung. Aus meiner Sicht ein ganz klassischer Fehler, weil zwei Begriffe vermengt werden. Der Begriff “glauben” hat zwei Bedeutungen: glauben im religiösen Sinn und überzeugt sein, von etwas, das die diesseitige Wirklichkeit beschreibt.
Glaubt also tatsächlich jeder Mensch? Nein. Vor Ihnen steht ein völlig ungläubiges Exemplar. Ich bin völlig ungläubig im religiösen Sinn, d. h. ich glaube nicht an nicht beweisbare, nicht falsifizierbare Hypothesen.
Natürlich glaube ich (im Sinn von Überzeugung) an Wissenschaft, an Theorien, die gute Erklärungsmodelle für die Wirklichkeit liefern, wie z. B. die Gravitationstheorie, die Evolutionstheorie oder die Relativitätstheorie. Diese Modelle beschreiben die Natur mit vergleichsweise einfachen Formeln. Es lassen sich damit Berechnungen anstellen und Vorhersagen treffen. Sie sind Grundlage für nutzenstiftende Technologien wie Raumfahrt, Gentechnik oder Medizin.
Alle diese wären ohne widerlegbare Modelle zur Beschreibung der Natur, also Theorien (prinzipiell auch) unmöglich.
Gerade Medizin ist ein gutes Beispiel, um den Unterschied zwischen Glauben und Überzeugung zu verdeutlichen:
Während es bei beispielsweise der Raumfahrt keine glaubensbasierten Alternativen gibt, eignet sich die Medizin hervorragend dafür, Menschen mit ihrem Glauben in die Irre zu führen. Denn es ist schwer denkbar, Raketen mit Schüßler-Salzen, Granderwasser oder Engelsenergie anzutreiben. Die Feinstofflichkeit versagt in der Physik vollständig. Aber in der Medizin ist diese klare Kausalität in der Form nicht gegeben. Es werden ja tatsächlich auch Menschen ohne medizinische Behandlung wieder gesund. Das können Sie selbst beim nächsten Schnupfen überprüfen.
Und weil Menschen auch von selbst heilen können, kann auch leicht die Behauptung aufgestellt werden, dass Unwirksames wirkt und diese Heilkraft für sich in Anspruch nimmt. Die Methoden sind bekannt: Bachblüten, Reiki, Energieringe, Osteopathie, usw. und natürlich Homöopathie. Nichts davon wirkt über den Placebo- und Noceboeffekt hinaus. Das ist erwiesen.
Diese Methoden sind glaubensbasierte Behauptungen, die aber an der Realität gemessen werden können und dort regelmäßig als falsch bis hin um Betrug entlarvt werden. Der Wirkmechanismus von Homöopathie beispielsweise kann nur geglaubt werden, die unterstellte Heilwirkung kann aber tatsächlich überprüft werden.
Wir messen bei den diesen Behandlungen die unterstellte tatsächliche Konsequenz. Die gibt es eben nicht, sie wird aber durch den Placeboeffekt verschleiert. Sie heilen nicht und schlimmstenfalls verhindern sie wirksame Therapien.
Die Methoden halten der Empirie nicht stand. Wir brauchen also nicht einmal mehr darüber spekulieren, ob die behauptete Wirkungsweise auch logisch einwandfrei ist, messbar oder nicht messbar ist, wenn schon die Wirkung nicht gegeben ist. Und das liegt auch nicht daran, dass Wissenschaft oder Schulmedizin andere, dazu nicht-kompatible “Glaubenssysteme” wären. Wenn nichts wirkt, wirkt nichts. Medizinische Methoden – egal, ob evidenzbasiert oder nicht – sind beweisbar, an der Realität messbar. Und vor allem nicht unwiderlegbar.
Zurück zum religiösen Glauben
Ausnahmslos jede Vorstellung von Gott ist unbeweisbar. Jede Vorstellung von Transzendenz ist unbeweisbar.
Deswegen heißt es ja glauben. Weil wissen unmöglich ist. Das unterscheidet Glauben von überprüfbaren Methoden.
Wer jetzt also meint, ich glaube ja auch nur, was mir die Wissenschaft serviert, der macht den religiösen Glauben damit überprüfbar, wertet ihn vollständig ab und stellt ihn auf meine Stufe der Nichtgläubigkeit. Das kann also nicht im Sinne jener sein, die diese Vergleiche anstellen. Das ist ja argumentativ zu deren Nachteil.
Wir können uns als Gläubige und Nicht-Gläubige aber gerne darauf einigen, dass das Transzendente unerkennbar bleiben muss. Es definiert sich geradenach durch diese Unerkennbarkeit. Und wer sich zu dieser Unerkennbakeit bekennt, ist prinzipiell einmal Agnostiker. Jetzt werden Sie vielleicht auch dieses Bekenntnis ablegen, innerlich aufschreien und meinen: “Ich bin aber kein Agnostiker, sondern Christ/Atheistin/Jude/Muslima, usw.” – Sehr richtig, denn diese Begrifflichkeiten sind nicht einander ausschließend.
Wenn Sie ein gläubiger Katholik sind, dann sind Sie in aller Regel ein agnostischerKatholik. Sie behaupten nämlich nicht, zu wissen, dass es Gott gibt, sondern Sie sind überzeugt davon. Wie eben der Atheist davon überzeugt ist, dass es Gott nicht gibt. Der Abstand von Überzeugung zum Wissen mag vielleicht sehr gering sein, aber er ist unüberbrückbar. Diejenigen, die glauben, dass sie es tatsächlich wissen, nennen wir gemeinhin Fundamentalisten.
Die gibt es auf beiden Seiten und auch sogar in der breiten agnostischen Mitte. Ich bezeichne, diese mittige Position gerne als naiven Agnostizismus. Sie kennen das dieses Exemplar bestimmt. Der naive Agnostiker schafft den ersten Teil der Ableitung ganz gut. Er hat soweit verstanden, dass es weder möglich ist, keinen Gott zu beweisen, noch einen transzendenten Gott zu widerlegen.Er setzt damit auch implizit voraus, dass transzendente Existenzen möglich sind, auch wenn ihm das so klar nicht bewusst ist. Bei dieser Abstraktionsstufe bleibt der naive Agnostiker aber stehen, klopft sich stolz auf die Brust und belehrt andere: “Gott kann man weder beweisen, noch das Gegenteil belegen.” Ob dieser Einsicht möge man in Bewunderung erstarren. Aber er erkennt nicht, dass Agnostizismus eine Ordinate ist, die quer zur Abszisse von Gläubigkeit und Nichtgläubigkeit liegt.
Die basale Einsicht ist eben nur der erste Schritt, der ohne weitere Ableitung wertlos ist. Im nächsten Schritt muss nun jeder die Entscheidung treffen, was er glaubt, denn mit dem Wissen, nichts wissen zu können, ist es im praktischen Leben nicht getan. Oder, wenn man der Überzeugung ist, dass es unerheblich ist, dann kann man das als Ignostizismus bezeichnen. De facto ist das aber der gleiche funktionale Atheismus, den die meisten Agnostiker auch leben. Nämlich so, als gäbe es keinen Gott.
Politik und Religion
Persönlich bin ich zwar überzeugt, dass es nichts Übernatürliches gibt, aber ich betätige mich nicht als Missionar, andere davon zu überzeugen. Das mag zwar für manche, die mich und meinen politischen Aktivismus kennen, nicht so wirken, aber es ist so.
2009 habe ich in Österreich die Atheistische Buskampagne durchgeführt, die deswegen Buskampagne heißt, weil das Vorbild im UK, die Atheist Bus Campaign auf Londoner Bussen den Slogan “There is probably no God” affichiert hatten.
Der Slogans in Österreich waren ein wenig kürzer und plakativer: “Es gibt keinen Gott” mit der doppeldeutigen Unterschrift: “Gutes Tun/tun ist menschlich”.
Aber ging es nicht darum, Wankelmütige zu Atheisten zu machen. Das soll wirklich jeder selbst für sich herausfinden. Schlussendlich habe ich persönlich im ganz wörtlichen Sinn nichts davon, Leute vom Atheismus zu überzeugen. Leben kann man davon nicht.
Die Motivation hinter der Atheistischen Buskampagne war es, das Verhältnis von Staat und Religion zu thematisieren.
Und das ist der Punkt, an dem die Glaubensfrage politisch wird. Wie soll sich ein Staat gegenüber Religion verhalten? Soll er eine Religion als richtig definieren? Das wäre dann eine Staatsreligion. Oder mehrere? Ergibt das überhaupt Sinn?
Ehe ich darauf antworte, erkläre ich, wie sich der Staat gegenüber Weltanschauung in Österreich derzeit verhält. Er nimmt prinzipiell einmal eine Unterscheidung vor zwischen religiöser und nicht-religiöser Weltanschauung. Für nicht-religiöse Weltanschauungen gibt es keine Möglichkeit einer privilegierten Organisationsform. Das ist an sich schon einmal eine Bevorzugung von Religion, die übrigens auch von Religionsrechtlern kritisiert wird.
Für religiöse Weltanschauungen gibt es ein zweistufiges Anerkennungsverfahren. Im ersten Schritt kann eine Gemeinschaft die Rechtspersönlichkeit der religiösen Bekenntnisgemeinschaft erwerben. Dazu braucht es 300 Mitglieder und einen dokumentierten Ritus. Diese Form nimmt fast keine religiöse Organisation in Anspruch, aber sie ist theoretisch notwendig, um später in den Status einer gesetzlich anerkannten Kirche und Religionsgemeinschaft aufzusteigen.
Theoretisch deswegen, weil die meisten Anerkennungen einfach trotzdem per Gesetz erfolgen oder historisch gegeben sind. Formal sind dazu Mitglieder im Ausmaß von 0,2% der Bevölkerung bzw. ca. 17.000 Menschen nötig. Außerdem muss die Religion 20 Jahre bestehen, davon 10 Jahre als Bekenntnisgemeinschaft.
Die 16 heute anerkannten Religionen dürfen einige Sonderrechte für sich und ihre Mitglieder beanspruchen. Dieses System führt damit ganz offensichtlich nicht zur einer religiös-weltanschaulichen Neutralität des Staates, sondern zu einem synkretistischen Staatsreligionensystem, in dem manche privilegiert werden und das noch dazu mit abgestuften Rechten:
Am mächtigsten ist die katholische Kirche, die über einen völkerrechtlichen Vertrag, dem Konkordat mit dem Heiligen Stuhl als Völkerrechtssubjekt privilegiert ist. Dann kommen die anderen christlichen Religionen, dann die nicht-christlichen, außer der Islam, der am wenigsten Privilegien hat. Danach kommen die religiösen Bekenntnisgemeinschaften und schlussendlich alles andere egal ob religiös oder nicht.
In der Einladung zur Veranstaltung wird unterstellt, wir hätten alle die Sehnsucht nach einem Wertesystem. Die Frage, die sich für mich dann stellt ist, egal ob ich jetzt glaube oder nichts glaube, warum unterscheidet dann ausgerechnet der Staat in anerkennungsfähige Wertesysteme?
Was ist am islamischen Wertesystem besser als an einem humanistischen, was ist am christlichen Wertesystem besser als am hinduistischen? Ich sage nicht, dass man diese Abwägungen nicht machen kann, geschweige denn darf.
Aber die Antwort ist einfach: Das versucht der Staat gar nicht herauszufinden. Diese Wertung fällt auch zurecht nicht unter seine Aufgaben. Zweitens: Werte werden zwar von Religionen in ein System gebracht, aber nicht erfunden. Religionen sind keine Wertespender, sondern Wertevereinnahmer, Werteaggregatoren.
Der Staat versucht also einander widersprechenden Wertesystemen gegenüber neutral zu sein und diese Neutralität dadurch zu gewährleisten, möglichst viele Religionen zu zu lassen. Gleichzeitig ist der Staat damit sehr selektiv und schließt automatische viele Weltanschauungen aus. Damit ist er aber nicht mehr neutral.
Neutralität kann nicht in der Form gewährleistet werden, allen Weltanschauungen ein staatliches Gütesiegel zu verleihen, weil damit nicht nur andere Weltanschauungen abgewertet werden, sondern weil es darüberhinaus ja nicht einmal eine Prüfung gibt. Gerade der Staat sollte sich in dieser Frage neutral verhalten. Wie geht das?
Laizität
Diese Alternative heißt Laizität. Der Staat nimmt Weltanschauung gegenüber einen indifferenten Standpunkt ein. Religion ist Privatsache und nichts mehr anhand dessen Staat entscheidet, was zulässig oder förderungswürdig ist oder nicht. Das heißt nicht, dass Religion eingeschränkt ist. Sie ist in der Ausübung völlig frei und kann öffentlich stattfinden. Aber eben ohne Sonderrechte. Aber auch ohne besondere Pflichten.
Die Wertedebatte ist im Kontext dieser Gesetze übrigens auch eine mit Rechten und Pflichten.
Ich möchte noch einmal zurückkommen auf das hierzulande praktizierte System aus 16 Staatsreligionen, das ja damit gerechtfertigt wird, dass Religionen einen Beitrag für die Gesellschaft leisten.
Zunächst: Ich bestreite nicht, dass dieser Beitrag existiert. Allerdings:
1) wird auch – wie die Werte – dieser Beitrag nicht gemessen, sondern prinzipiell einmal unterstellt und als gegeben angenommen
2) werden die Leistungen der Kirchen (alle anderen leisten eh nichts) von den Steuerzahlern schlicht und einfach bezahlt. Sie könnten auch genausogut von nicht-kirchlichen Einrichtungen erbracht werden. Und das passiert auch. Niemand ist in der Durchführung an Kirchen und Religionsgesellschaften angewiesen.
Als Rechtfertigung für die Sonderrechte, die den Religionen dann im Umkehrschluss daraus erwachsen, spricht man dann vom kooperativen Modell. Zu einer guten Kooperation gehören aber auch beiderseitige Pflichten.
Es kann nicht sein, dass der Staat den Religionen als Organisationsform eine Körperschaft öffentlichen Rechts zur Verfügung stellt und dafür rein gar nichts erhält. Das wirkt noch zusätzlich diskriminierend auf andere Weltanschauungen und ihre Mitglieder.
Die Rechte des Staates und die Pflichten der Religionen sind allerdings genau so überschaubar wie unnötig. Im Wesentlichen darf die Bundesregierung Bischofsbestellungen der katholischen abnicken. Im Islamgesetz hat man sich dann schon mehr ausgetobt und ein Verbot der Auslandsfinanzierung verabschiedet, das auf andere Religionen nicht zutrifft. Und im übrigen auch leicht umgangen werden kann. (Siehe dazu ausführlicher: Warum ich dem neuen Islamgesetz nicht zustimme)
Kopftuchverbot
Das Kopftuchverbot ist der nächste Streich. Kindern unter 10 Jahren soll das Tragen von Kopftuch in Schulen und Kindergärten verboten werden.
Derzeit wird darüber gestritten, ob das Kopftuch überhaupt religiös motiviert ist. Dazu bedient man sich der Argumentation, dass es im Koran nicht vorgeschrieben wäre. Doch der Staat hat gar nicht prüfen, was im Koran steht oder nicht. Und es wird dabei außerdem völlig außer acht gelassen, dass Religion und religiöse Kultur untrennbar miteinander verbunden sind. Dieser absurde Kunstgriff wird nur ins Treffen geführt, weil sich ein Verbot religiöser Kopfbedeckungen in Kindergärten und Volksschulen natürlich auch die jüdische Kippa beträfe. Wenn ein eventuelles Gesetz nur auf den Islam angewendet wird, dann wirkt das diskriminierend. Mit einem generellen Verbot wiederum, von dem z. B. auch Baseball-Kappen betroffen sind, wird es überhaupt unfair. Dann werden nicht-religiöse Kopfbedeckungen auch ohne Not verboten. Was passiert dann, wenn es kalt wird? Haubenverbot und Ohrenschützerpflicht? (Siehe dazu: Kopftücher im Kindergarten? Mehr Spielraum im kooperativen Modell von Staat und Religion)
Möglicherweise werden genau wie auch schon beim Burkaverbot Ausdrucksformen, die mit Religion nichts zu tun haben, wegen Religion eingeschränkt.
Das halte ich für indiskutabel.
Besser wäre Laizität. Dann ist Religion Privatsache und der Staat könnte, weil er Weltanschauung gegenüber indifferent ist, nach Religion nicht mehr unterscheiden. Es gäbe damit weder religiöse Diskriminierung noch Privilegierung.
So etwas wie das Kopftuchverbot würde dann richtigerweise vor dem Hintergrund des Kindeswohls alleine diskutiert.
Die Sehnsucht nach einem Wertesystem mag vielleicht alle erfassen. Religion ist aus meiner Sicht dazu nicht notwendig.
Für mich als liberalen, republikanischen Demokrakten sind allgemeingültige verbindende Grundlagen viel wichtiger als, konkurrierende und damit trennendende religiöse Werte.