Medienpolitisches Ödland

Mein letztwöchiger Text „Die neue Generaldirektion des ORF“ wirft zwar einen kritischen Blick auf den Bestellungsprozess für die Spitze des größten Medienhauses des Landes, ist aber auch als grundsätzliche Reaktion auf die medienpolitische Verödung der Republik zu lesen. Der periodisch wiederkehrende Anlassfall der parteipolitischen Vereinnahmung einer öffentlichen Ausschreibung für eine Position im ORF verdeutlicht nicht nur die Notwendigkeit der Aktualisierung des ORF-G sowie der Modernisierung des ORF und seiner Gremien insgesamt, sondern spiegelt auch ein breites öffentliches Desinteresse an Medienpolitik wider, das sich durch Politik, Medienwissenschaft und die Medien selbst zieht.

Es gibt zur Rolle von Medien in der Demokratie und ihrer staatlichen Bewirtschaftung kurz Medienpolitik, aber auch ihren Werkzeugen wie etwa Presseförderungen und der Funktion des einen öffentlich-rechtlichen Medienhauses – bezeichnend, dass noch immer von öffentlich-rechtlichem Rundfunk die Rede ist – keinen prinzipiellen Diskurs. Die medienwissenschaftliche Disposition zu dem Thema, insofern sie überhaupt aktualisiert wurde, reflektiert den Standard vergangener Jahrzehnte und wird auch von den meisten, die dazu Stellung nehmen, so wiedergegeben – wie man’s halt im Studium damals gelernt hat.

Natürlich, es gibt immer wieder großes (und berechtigtes) Wehklagen, dass die Printförderungen auf der Straße (i. e. dem Boulevard) landen, dass der ORF für das viele Geld das falsche Programm zeigt, dass zu wenig Platz für politische Satire ist, zu wenig Formel 1, zu wenig Gladiator gezeigt wird etc. pp während daneben die älteste noch erscheinende Tageszeitung der Welt, die Wiener Zeitung im Eigentum der Republik, planlos ins Verderben ignoriert wird. Aber das sind Wellen an der Oberfläche – erzeugt durch Winde der Tagespolitik.

Dass das grundlegende Verhältnis von Republik und Redaktionen in einer digital transformierten Medienwelt kein Gegenstand öffentlicher Debatte ist, kann man (also ich) noch am wenigsten jenen vorwerfen, die wenigstens aus dem Rest des Diskurses versuchen, das Beste herauszuholen. Viel mehr als Der Standard (Etat), Datum, manchmal Profil und vereinzelte Journalistinnen, die sich dem Spektakel (GD-Wahl) und dem Medienstandort noch irgendwie (Horizont) oder kritisch widmen, gibt es nicht. Der Rest ist medienpolitisches Ödland.

 

Die grundlegende Frage

Die ontologische Qualität des ORF wird in ihrer aktuellen Dimension völlig unkritisch angenommen. Die ganz einfache Frage wird nicht gestellt:

„Brauchen wir den ORF morgen noch und wenn ja, was genau soll er leisten, würden wir ihn jetzt erfinden?“

Diese Frage ist kein Angriff auf den ORF, sondern ein Reality Check, der für jede staatsnah finanzierte Einrichtung periodisch anzuwenden ist und gleichermaßen auch für Bundesheer, Schulen, Kultureinrichtungen, Polizei etc. gilt. Die Beantwortung dieser Frage müsste zumindest bei jedem oder jeder Mediensprecher:in einer politischen Partei ein darauf passendes Positionspapier produzieren. Man darf annehmen und auch leicht überprüfen, dass es nicht so ist. Aktuelle Wortspenden legen auch nahe, dass diese konzeptionelle Basis-Arbeit nicht geleistet wurde und wird; und so verkommt jede Detailkritik zur Insellösung einer willkürlichen Begehrlichkeit. Die FPÖ etwa kann in ihrem Wunsch, die GIS abzuschaffen, solange nicht ernst genommen werden, solange kein Plan vorliegt, ob und wie Public Value aus dem Medienmarkt heraus entsteht. Nur um einen Deut besser ist die Kritik von Jörg Leichtfried, dem Mediensprecher der SPÖ, einzuordnen, der jetzt, wenn bald der Schwarze Weißmann gewählt werden wird, auf einmal den Stiftungsrat entpolitisieren will – aber auch nur gerade soweit, dass es sich mit der ÖVP- ehrheit nicht ausgeht. Dass er ernsthaft vor einer Orbánisierung warnt, ist schlicht eine Beleidigung für die unabhängigen Journalist:innen der ORF Information. Dieser Negativfokus auf Details von SPÖ und FPÖ wirkt in seiner positiven Ausgestaltung durch die Grünen nicht weniger substanzlos. Die Forderungen von Eva Blimlinger und den Grünen stammen anscheinend aus dem letzten Jahrtausend (Bitte klicken Sie den Link zu diesem PDF an.) und sind kategorisch nicht besser durchdacht als jene von FPÖ und SPÖ. Sie klingen vielleicht ein wenig freundlicher, aber jeglicher Tiefgang in der Betrachtung von Medien in der Demokratie fehlt. Vom ÖVP-Mediensprecher hört man schlicht gar nichts. (Vielleicht habe ich mich auch vergooglet. Jedenfalls: Wer seinen Namen ohne Nachschauen kennt, dem spendiere ich ein Eis.) Die einzige Mediensprecherin der Parlamentsparteien, die diesen Namen auch verdient, ist Henrike Brandstötter. Die aktuelle Position von NEOS ist von meiner schon einigermaßen entfernt, aber sie ist im Gegensatz zu jener anderer Parteien erkennbar durchdacht.

Aber nicht nur Medien und Politik sind (abgesehen von den erwähnten Ausnahmen) in ihrem Nominalkompositum Medienpolitik weitgehend nicht satisfaktionsfähig: Auch die Vertreter:innen der universitären Lehre, die zu medienpolitischen Fragen herangezogen werden, beantworten in der Regel die oben gestellte einfache Frage in diesem Kontext nicht, sie stellen sie sich ganz offensichtlich auch nicht selbst.
Die offensichtlichen Befunde wirken trotz ihrer Trivialität zumeist umfassend und vernünftig: Es gibt einen Konsens im Hinblick auf die wesentlichen Leistungen, digitale Transformation und den Bedarf einer Aktualisierung in der Publikumsorientierung. Gebühren gelten als das Nonplusultra zeitgemäßer Finanzierung. Kritik, Ecken und Kanten finden sich bestenfalls in der Abwehr politischer Einflussnahme, die ohnehin selbstverständlich sein sollte. Abgesehen davon beschränken sich die Wortmeldungen auch immer auf die gleichen Menschen, die in einer immerwährenden Verschweigespirale aus Medien und Politik den Status Quo unhinterfragt einfrieden und generell suggerieren, dass der ORF nur aus der ZIB und Ö1-Journalen bestünde. Dass es neben den journalistischen Leistungen des ORF auch einen ganz anderen ORF gibt, der sich mit eingekaufter Unterhaltung, Sportrechten usw usf weit von gesellschaftlichem Mehrwert entfernt, bleibt unerwähnt.

Wenig Beachtung finden auch andere Themenkomplexe:

  • Das Zusammenspiel aus Presseförderung, anderen Medienförderungen und gebührenfinanziertem Rundfunk wird kaum thematisiert. Der ORF lukriert neben 650 Mio. Euro an Gebühren noch über 300 Mio. an sonstigen Umsätzen. Das Gesamtvolumen aller Medienförderungen liegt in einer Größenordnung von 45 Mio. Dem freien Markt werden durch den ORF mögliche Umsätze entzogen, die nicht in der gleichen Größenordnung zurückkommen, aber teilweise mit fragwürdigen Regierungsinseraten kompensiert werden.
  • An vielen Stellen wird die Kontrollfunktion des ORF eingefordert. Doch das Medienhaus betreibt selbst kaum investigative Recherche und verlässt sich hier auf den privaten Printmarkt. Dass bei einem Milliardenbudget gerade dieser Bereich fehlt, ist zumindest bemerkenswert.
  • Die Verbreitungsinfrastruktur des ORF stammt aus dem letzten Jahrtausend. Nicht zuletzt deswegen wird der ORF in einer Dimension erhalten, die heute nicht mehr notwendig ist. Eine Redimensionierung bei gleicher Leistungsfähigkeit wäre mittelfristig möglich, ist aber nicht in Sicht und wird unter anderem aber nicht nur durch das ORF-G ausgeschlossen.
  • Was der ORF über Public Value im engeren Sinn hinaus liefert, wird zumeist stillschweigend toleriert oder irgendwie als im Leistungskatalog vertretbar oder notwendig deklariert und damit in einen vermeintlich notwendigen Budgetbedarf eingerechnet.

Die Kurzschlussargumentation, dass die Wichtigkeit des ORF im Hinblick auf seinen journalistischen Output und seine Reichweite nur zu genau diesem (oder vielleicht sogar einem höheren) Budget zu haben ist, sehen nicht alle so: „Würde man den ORF heute von null aus aufbauen, käme er schon deutlich effizienter als jetzt.“ – Gerhard Zeiler im aktuellen DATUM.

Legt man als Maßstab dieses Gedankens die Definition von Public Value im engeren Sinn an – also zu jeder Zeit die informationellen Grundlagen des demokratischen, politischen und gesellschaftlichen Diskurses bereitzustellen und als Medienbetrieb die Rolle als kontrollierende vierte Macht im Staat wahrzunehmen – dann könnte der ORF leicht mit dem Teil des Budgets, das die heute über Gebühren eingenommen wird, das Auslangen finden und mehr von dem guten Stoff produzieren. Vielleicht sogar politische Satire.

 

Was wurde aus meiner Bewerbung?

In meinem Text von letzter Woche „Die neue Generaldirektion des ORF“ ging ich nicht explizit darauf ein, ob ich selbst eine Bewerbung abgeben werde. Dass ich durch meinen zweifachen Bewerbungstest suggeriert habe, selbst anzutreten, ist mir klar. In der medialen Verwertung (Etat, Presse, Kronen Zeitung) wurde das auch so angedeutet.

Tatsächlich schließe ich auch nicht aus mich vielleicht bei der nächsten Wahl zu bewerben. Es kann gut sein, dass bis dahin ein neues ORF-G in Kraft tritt und sich damit auch die Voraussetzungen zu einer fairen Ausschreibung geändert haben. Aber für diese Wahl 2021 hatte ich es nicht vor und ich will auch erläutern warum:

Die Bewerbung für die Generaldirektion des ORF ist außerordentlich aufwändig. Ein solides Konzept zur mittel- und langfristigen Entwicklung des ORF erfordert schon ein paar intensive Arbeitstage. Alexander Wrabetz und Richard Grasl verfassten 2016 höchstpersönlich jeweils rund 100 Seiten und genossen dabei unaufwändigen Zugriff auf interne Daten. Als Bewerbung von außerhalb des ORF ist der Aufwand deutlich höher. Derlei Arbeit schreckt mich naturgemäß ebensowenig ab, wie die Beschaffung der dafür notwendigen Grundlagen. Nur lohnt dieser Aufwand für einen Prozess, der politisch vorentschieden wird? Noch dazu für jemanden, der kein Teil einer Chatbewegung ist?

Möglicherweise ja, weil mit einem guten Konzept auch eine Chance besteht, dass etwas geändert werden kann, selbst wenn man selbst nicht zum Zug kommt, das Konzept enteignet und abgeschrieben wird. Jede gut ausgearbeitete Bewerbung hilft, dieses politische Besetzungsmanöver in seiner Qualität zu verbessern.
Für dieses Mal ist es zu spät, aber eine oder mehrere langfristig angelegte Bewerbungen für 2026 (sofern sich das Datum nicht durch ein neues ORF-Gesetz ändert) sollten den ORF und den Gesetzgeber motivieren, darüber nachzudenken, worüber beide derzeit nicht nachdenken.

Ich hätte das schon dieses Jahr gerne gemacht, aber da ich als Angehöriger eines allgemeinen Vertretungskörpers auch formal von dieser Funktion ausgeschlossen bin, hatte sich die Frage nach einer Bewerbung in diesem Jahr schon vor ihrer Konkretisierung erübrigt.

2 Comments

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July 28, 2021 at 07:57

danke für den amüsanten [Gladiator:]], kritischen und vor allem echt wichtigen input um diese GD-farce, wie sie derzeit stattfindet!
sehr schade, dass die bewerbung 2021 nicht klappt – das stanitzel für die nennung Axel Melichiors ohne Google ist wo genau abzuholen?
korrektur noch zum satz: »Alexander Wrabetz und Richard Grasl verfassten 2016! …«
alles gute!

July 28, 2021 at 08:04
– In reply to: isebuki

Danke (auch für den Hinweis auf den Tippfehler)!

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