Kopftuchverbot und Laizität sind ein Widerspruch

Die Frage eines Kopftuchverbots ist primär eine Frage nach dem Ort, an dem dieses Kleidungsstück getragen wird. Aber egal, ob in der Schule, im öffentlichen Dienst, im öffentlichen Raum oder sogar privat – unter der Anwendung ein paar grundlegender Prinzipien und Regeln, ist die Frage der Angemessenheit immer leicht zu beantworten.
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Diese Regeln will ich kurz erläutern.
1) Laizität
Vorab: ich trenne mittlerweile gerne die Begriffe Laizität und Laizismus. Laizität bedeutet staatliche Indifferenz versus Religion und Weltanschauung. Laizismus bedeutet eine aktive Trennung von Staat und Religion, die ein Hinausdrängen von Religion aus der staatlichen Sphäre miteinschließt, eben auch mit Kopftuchverboten in manchen Ländern.
Laizität verwirklicht eine strikte Trennung von Staat und Religion, indem Religion einfach als Privatsache behandelt wird, die wie ein unveränderliches persönliches (Augenfarbe, sexuelle Orientierung, etc.) auch für den Staat kein differenzierendes (oder sogar differentialistisches) Merkmal darstellt.
Das heißt, ein laizistischer Staat kann Menschen aufgrund ihrer Religion oder Weltanschauung nicht verschieden behandeln – weder verschieden von Religion zu Religion, noch verschieden im Hinblick auf religiöse oder nicht-religiöse Weltanschauung. Ein laizistischer Staat steht Religion und Weltanschauung schlicht indifferent gegenüber. Sie existieren für ihn de facto nicht, weil die grundlegende Gewährung persönlicher Freiheiten (Glaubens, Gewissens-, Weltanschauungsfreiheit) und gesetzliche Regelungen einfach ausreichen.
Was bedeutet das für das Kopftuch?
Aus der Perspektive des laizistischen Staates ist es ein Kleidungsstück.
Bedeutet das, dass es dann unter Berufung auf Religionsfreiheit immer überall getragen werden kann? Nein, denn der Rückgriff auf das Argument “Religionsfreiheit” gilt auch nur im Rahmen der für alle gültigen Gesetze. Ausnahmen aus religiösen Gründen, die für andere nicht gelten, darf es nicht geben.
Und es gibt eben noch mehr Regeln als Laizität.
 
2) Verbot des Zwanges zu einer religiösen Handlung
Kein Mensch darf zum Tragen eines Kopftuches aus religiösen Gründen gezwungen werden.
Der Blick ins Staatsgrundgesetz führt zu einer eindeutigen Beurteilung:

Artikel 14. Die volle Glaubens- und Gewissensfreiheit ist Jedermann gewährleistet.
Der Genuß der bürgerlichen und politischen Rechte ist von dem Religionsbekenntnisse unabhängig; doch darf den staatsbürgerlichen Pflichten durch das Religionsbekenntniß kein Abbruch geschehen.
Niemand kann zu einer kirchlichen Handlung oder zur Theilnahme an einer kirchlichen Feierlichkeit gezwungen werden, in sofern er nicht der nach dem Gesetze hiezu berechtigten Gewalt eines Anderen untersteht.

Die Formulierung “kirchliche” Handlung legt nahe, dass es sich dieses Gesetz nur auf christliche Kirchen bezieht. Das ist freilich nicht so. Es sind alle Religionen mitgemeint.
Was bedeutet das für das Kopftuch?
Ganz einfach, niemand darf zum Tragen eines Kopftuches gezwungen werden, “in sofern er (Anm. oder sie – ebenso mitgemeint) nicht der nach dem Gesetze hiezu berechtigten Gewalt eines Anderen untersteht.”
Es ist also davon auszugehen, dass jedes Kopftuch, das aus religiösen Gründen getragen wird, auch freiwillig getragen wird. Anders wäre es ja nicht erlaubt.
 
3) Nötigung
Diese Freiwilligkeit wird umso mehr dadurch unterstrichen, als ein Zwang zum Kopftuch ja den Straftatbestand der Nötigung erfüllte.

§ 105. (1) Wer einen anderen mit Gewalt oder durch gefährliche Drohung zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung nötigt, ist mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bis zu 720 Tagessätzen zu bestrafen.

Was bedeutet das für das Kopftuch?
Niemand kann mit einem Kopftuchverbot vor einem Zwang durch Ehepartner, Religionsgemeinschaft und so weiter eines tragen zu müssen geschützt werden. Diese Funktion wird ja außerdem bereits vom Artikel 14 Staatsgrundgesetz und §105 StGB erfüllt.
 
4) Religionsmündigkeit
Menschen gelten in Österreich mit dem 14. Geburtstag als religionsmündig.
Das Bundesgesetz über die religiöse Kindererziehung normiert hier:

  • 5. Nach der Vollendung des vierzehnten Lebensjahrs steht dem Kind die Entscheidung darüber zu, zu welchem religiösen Bekenntnis es sich halten will. Hat das Kind das zwölfte Lebensjahr vollendet, so kann es nicht gegen seinen Willen in einem anderen Bekenntnis als bisher erzogen werden.

Interessant ist die Erklärung dieser Bestimmung durch Religionsrechtler. Kalb/Potz/Schinkele (Religionsrecht, S. 333, Wien 2003) formulieren:

“Der Glaube an die Lehrer einer Religion setzt die Fähigkeit voraus, diese Lehren geistig zu erfassen; diese Erkenntnis kann nur allmählich mit der Entwicklung des Verstandes und der Vernunftkräfte des einzelnen von sich gehen.”

Der Gesetzgeber geht also selbst davon aus, dass Menschen jünger als 14 zur aktiven Religionsausübung noch nicht bzw. noch nicht vollständig in der Lage sind. Das von Eltern oder Erziehungsberechtigten erzwungene Tragen eines Kopftuchs widerspricht dem Grundsatz, selbstbestimmt über seine Religion entscheiden zu können.
Was bedeutet das für das Kopftuch?
Ein Kopftuch aus religiösen Gründen zu tragen, ist für Unter-14-jährige nicht möglich. Aus modischen Gründen ist das selbstverständlich möglich.
 
5) Bekleidungsvorschriften
Schlussendlich gibt es in Unternehmen, Organisationen und in vielen anderen Lebenssituationen Bekleidungsvorschriften, sei es der Helm auf der Baustelle oder gewisse Bedingungen für das Tragen von Kopfbedeckungenin Passbildern.
Jeder private Arbeitgeber sollte völlig willkürlich Bekleidungsvorschriften erlassen dürfen, solange sie für alle gleichermaßen gelten und nicht diskriminierend sind. Und auch staatliche Organisationen und Unternehmen in staatsnahem Umfeld dürfen für als Arbeitgeber für sich beanspruchen, gewisse Leitlinien für die Bekleidung seiner Beamtinnen und Beamten bzw. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu erlassen.
Auch hier darf es keine Ausnahmen aus Gewissensgründen (aka Privilegierung von Religion) geben, wenngleich in diesem Bereich die Regelung nicht vollkommen willkürlich sein darf, sondern begründet werden muss.
Was heißt das für das Kopftuch? Es obliegt dem Arbeitgeber, ob es in seinem Unternehmen opportun ist Bandana oder Hijab zu tragen. Doch es kann nicht das eine erlaubt und das andere verboten sein. In einem laizistischen Staat gilt das auch für Lehrerinnen und Lehrer. Der Mathematik-Lehrer mit Baseball-Kappe ist ebensowenig ein Problem, wie die Physik-Lehrerin mit Kopftuch. Nota bene: in einem laizistischen Staat gibt es aber auch keinen konfessionellen Religionsunterricht und auch keine Verpflichtung, ein Kreuz an einer Schulwand zu montieren. Der Umgang mit religiös motivierter Kleidung darf also entspannter erfolgen, weil Religion an sich keine schulischen Privilegien mehr ausübt. Eine Argumentation, die ausschließlich über das Argument der Religionsfreiheit für das prinzipiell erlaubte Tragen von Kopftüchern ohne Einschränkung, ist in einem System wie dem jetzigen mit 16 privilegierten Religionen, also einem System, das Religion weit über Gebühr begünstigt, indiskutabel. Dem gegenüber steht das Argument der individuellen Selbstbestimmung in einem säkularen Staat, der keine Religion begünstigt oder benachteiligt.
   
Was bedeutet das alles im Hinblick auf ein Kopftuchverbot?    

  1. Prinzipiell müssen wir davon ausgehen, dass Kopftücher immer freiwillig getragen werden. Alles andere wäre Nötigung. Ein Kopftuchverbot schränkt dann nur diejenigen ein, die eines tragen wollen, hilft aber keinem Menschen, der dazu genötigt wird, im Angesicht eines nicht angewendeten §105 StGB.
  2. Aus der Perspektive des laizistischen Staates ist ein Kopftuch ein Kleidungsstück. Damit wird Religion nicht negiert und die Ausübung von Religion weder gefördert, noch eingeschränkt. Ein Verbot religiös motivierter Kleidung mit (vorgeblich) laizistischen Argumenten ist nicht möglich.
  3. Das reduziert ein mögliches Kopftuchverbot auf die Anwendbarkeit von Bekleidungsvorschriften. Dass diese für den privaten Bereich nicht gelten können, ist klar. Auch im öffentlichen Raum sind Beschränkungen nur schwer vorstellbar. Egal, wie man beispielsweise einem Vermummungsverbot gegenüber steht, kann dieses natürlich nicht religiös diskriminierend/privilegierend formuliert sein, das heißt religiös motivierte Kleidung dürfte davon auch nicht auf Berufung auf die Religionsfreiheit ausgenommen werden.
  4. Der Anwendungsbereich von Bekleidungsvorschriften ist damit auf wenige Umfelder eingegrenzt, u. a.: aus Sicherheits- und Hygienegründen, notwendiger Erkennbarkeit des Gesichtes, beim Tragen von Uniformen (betrifft private wie öffentliche Arbeitgeber), in Arbeitsverhältnissen mit sinnvollen Begründungen für bestimmte Kleidung (und No-Gos) am Arbeitsplatz und eben auch jenen, die einer diskriminierungsfreien Willkür des privaten Arbeitgebers entsprechen.

Oder ganz kurz: Es gibt keinen vernünftigen Grund für ein Kopftuchverbot. Es gibt aber auch kein Recht, immer eines tragen zu dürfen oder auf eine Ausnahme aus sonst allgemein gültigen Gesetzen unter Berufung auf die Religionsfreiheit.
 

2 Comments

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May 17, 2017 at 12:19

In Schulen muss es endlich ein Kopftuch-Verbot geben. Kinder werden sexualisiert und die Integration winkt mit letzter Hoffnung betrübt hinterher..

Niko Alm » Kopftücher in Kindergärten? Mehr Spielraum im kooperativen Modell von Staat und Religion
April 4, 2018 at 10:59

[…] (Siehe auch: Widerspruch von Kopftuchverbot und Laizität) […]

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