Allgemeine Wehrpflicht: einmal aussetzen bitte

Dieser Artikel ist in einer gekürzten Version am 24. Oktober 2014 als Kommentar auf derStandard.at erschienen.

Ein derartiger Beschluss würde sich nicht gegen das Ergebnis der letztjährigen Volksbefragung richten, sondern ist im Sinn seiner Konsequenz zu sehen. In dieser Befragung, die keine Volksabstimmung war, war die Regierung nicht mutig genug, die einfache Entscheidungsfrage zu stellen:

“Sind Sie für die Beibehaltung der allgemeinen Wehrpflicht für Männer?”

In vorgelegten Formulierung wurden vier Dinge zu zwei Optionen vermischt:

“Sind Sie für die Einführung eines Berufsheeres und eines bezahlten freiwilligen Sozialjahres?”
ODER
“Sind Sie für die Beibehaltung der allgemeinen Wehrpflicht und des Zivildienstes?”

Eine neuerliche Thematisierung der allgemeinen Wehrpflicht für Männer ist also kein undemokratisches Ignorieren dieser Meinungserhebung – die allgemeine Wehrpflicht für Männer muss separat von Randerscheinungen für sich behandelt werden können – sondern eine zwingende Konsequenz angesichts des bedauernswerten Zustands des österreichischen Bundesheers.

Bundesheer (Symbolfoto)
Bundesheer (Symbolfoto)

Während dem Bundesheer auf der einen Seite das Geld für den notwendigen Betrieb (Munition, Treibstoff, Ausrüstung) fehlt, wird mit der allgemeinen Wehrpflicht für Männer eine Ausbildungsinfrastruktur aufrecht erhalten, die unfertige Ausgebildete produziert. Die Soldaten erreichen nach 6 Monaten Grundwehrdienst ohne Milizübungen keine Feldeinsatztauglichkeit. Die allgemeine Wehrpflicht produziert Kosten, aber bringt keinerlei militärischen Nutzen mehr. Das ist bekannt, sonst würden nicht manche von einer Katastrophenschutz-Miliz, Bewachung kritischer Infrastruktur etc. fantasieren.
Faktum ist: Dieses Geld – immerhin 40% des Budgets und noch mehr Personalressourcen – fehlt für den sinnvollen Aufbau eines Berufsheers mit einer Freiwilligen-Miliz.
Das ist bestenfalls symbolische Landesverteidigung, die langfristig zum vollständigen Verlust der Verteidigungsfähigkeit führen wird. Und wenn es darauf ankommt, muss sich das Heer ohnehin zurückziehen. Siehe Golan, wo Soldaten aus Nepal und den Fidschi-Inseln die Arbeit der österreichischen Soldaten übernommen haben.
Die österreichische Sicherheit ist längst nicht mehr von der allgemeinen Wehrpflicht für Männer abhängig. Das Hauptargument – die militärische Landesverteidigung – ist in der Debatte ja ohnehin schon längst weggefallen. Deswegen konzentriert sich die Verteidigung der allgemeinen Wehrpflicht für Männer auf Sekundärargumente wie u. a. Katastrophenschutz und Zivildienst.
Katastrophenschutz ist nicht die primäre Aufgabe des österreichischen Bundesheeres. Dieser kann mit einem Berufsheer und dem Ausbau der Blaulichtorganisationen gemeinsam auch wahrgenommen werden.

Zivildienst

74%, der Wahlberechtigten, die an der Volksbefragung teilgenommen haben, stimmten für die Wehrpflicht, um den Zivildienst zu erhalten.
Aber Zivildienst ist und kann kein Ziel der allgemeinen Wehrpflicht sein. Das darin verpackte Argument ist ja eigentlich, dass dem System dann die billigen Arbeitskräfte fehlen. Wer so argumentiert, begeht aber nichts anderes als eine geistige Menschenrechtsverletzung, die sehr oft gepaart ist mit der skurrilen Argumentation, dass Bundesheer und Zivildienst niemandem schaden und für die persönliche Entwicklung zuträglich seien. Die Einschränkung der persönlichen Freiheit wird dabei ganz selbstverständlich in Kauf genommen. Der Zivildienst ist nichts anderes als eine Arbeitspflicht.
Nach Artikel 4 (2) EMRK darf niemand gezwungen werden, Zwangs- oder Pflichtarbeit zu verrichten. Ja, in Absatz 3 ist definiert, dass der Wehrdienst und der Wehrersatzdienst davon ausgenommen sind. Nur dieser Absatz findet natürlich keine Anwendung, wenn die allgemeine Wehrpflicht nur bei behalten wird, um einen Ersatzdienst aufrecht erhalten zu können.
Das ist eine Umgehung der Bestimmung.

Die Wehrpflicht für Männer wird also beibehalten, weil wir die Möglichkeit der Wehrpflichtverweigerung brauchen und nützen, um damit eine Arbeitspflicht aufrecht erhalten zu können.

Damit wird der Zivildienst zur Pflichtarbeit, die nach der EMRK verboten ist. Diese Arbeitspflicht muss nach dieser Volksbefragung also zwingend logisch durch das Aussetzen der allgemeinen Wehrpflicht für Männer aufgehoben werden. Wer den Zivildienst zum Argument für die allgemeine Wehrpflicht macht, schafft damit automatisch beides ab. Abgesehen davon muss eine Verweigerung der Wehrpflicht aus Gewissensgründen natürlich auch konsequenterweise als Opt-Out für den Zivildienst möglich sein.

Frauen zum Heer?

Als weitere Konsequenz dieser Volksbefragung müssen wir uns bald auch der Debatte stellen, ob Frauen im Rahmen der allgemeinen Wehrpflicht nicht auch berücksichtigt werden müssen.
Das ist keine politische Forderung (weder von mir noch von NEOS). Aber der derzeitige Zustand ist gleichheitswidrig und diese Debatte ist zwangsläufig zu führen. Wer für die allgemeine Wehrpflicht eintritt, tritt damit auch für eine Ausdehnung auf Frauen ein, wie das in Norwegen gerade eben passiert ist.
Wer keine allgemeine Wehrpflicht für Frauen will, der muss gegen die Wehrpflicht an sich sein.

Zapfenstreich

  • Die allgemeine Wehrpflicht ist gleichheitswidrig.
  • Die Beibehaltung der allgemeinen Wehrpflicht wird mit der Notwendigkeit des Zivildienstes argumentiert und entzieht sich damit selbst die Begründung.
  • Wir können uns derzeit die allgemeine Wehrpflicht nicht leisten. Sie produziert Kosten ohne militärischen Nutzen.

Setzen wir diese teure und nutzlose Wehrpflicht für Männer aus, um das österreichische Bundesheer nicht mittelfristig verteidigungsunfähig zu machen. Geben wir ein Bekenntnis zur Realität der Landkarte ab und legen wir den Fokus auf ein Berufsheer, eine kleine einsatzorientierte Armee mit moderner Ausrüstung und freiwilliger Milizkomponente. Und lösen wir den Zivildienst durch freiwilligen Sozialdienst ab.

PS:


Im Sinn dieser Argumentation hat NEOS bei der Sondersitzung letzten Dienstag einen Antrag zur Aussetzung der Wehrpflicht eingebracht:

“Die Bundesregierung, insbesondere der Bundesminister für Landesverteidigung und Sport, wird aufgefordert, dem Nationalrat Gesetzesentwürfe zur Sicherstellung der Umsetzung nachstehender Punkte vorzulegen:

  1. die Aussetzung der allgemeinen Wehrpflicht; und 
  2. die Schaffung eines Freiwilligenheeres unterstützt durch eine freiwillige Miliz.”

Dieser Antrag wurde von SPÖ, ÖVP, FPÖ, Team Stronach und Die Grünen abgelehnt.

1 Comment

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Albert Lukas
February 11, 2015 at 11:27

Danke für den wunderbaren Beitrag zu unserer Gesellschaft den Sie und aufgeschlossene Mitglieder Ihrer Partei geleistet haben. Ich bekomme den Eindruck, dass in dieser Sache jedoch im Moment alle Türen verschlossen sind.
Ich werde in 2 Jahren meinen Wehrdienst ableisten müssen und habe sehr große Angst davor, denn ich habe gehört, dass im Bundesheer mit großer Unmenschlichkeit vorgegangen wird. Ich wohne in Wien, jedoch habe ich gehört, dass ich meinen Dienst, wenn das notwendig ist, auch in einem anderen Bundesland leisten muss, jedoch lebe ich mit meiner Freundin zusammen und sie ist nicht einverstanden damit, dass ich ein halbes Jahr nicht mehr zu Hause bin.
Ich bin kurzsichtig und sehe mit Brille kaum etwas und leide an einer chronisch entzündlichen Darmkrankheit, jedoch wird mir immer noch zugetraut Soldat zu werden. Ich habe Angst um meinen körperlichen Zustand. Als ich dies in der ärztlichen Untersuchung geäußert habe wurde ich angeschrien und erniedrigt.
Da ich keine Hoffnung mehr für die Aussetzung der Wehrpflicht in Friedenszeiten habe, hoffe ich bis dann auf menschlichere Behandlung. Vielleicht ist das ein Thema aus das sich das Parlament einig werden kann. Bitte versucht es.

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