Das Multikommunikationsversagen der Regierung
Am 5.5.2020 erschienen als Gastkommentar auf diepresse.com.
Dass sich die Regierung zu Beginn einer drohenden Pandemie, bei unzureichendem Informationsstand – eine so noch nie da gewesene Situation – auf eine sichere Position zurückzieht und es vorzieht, vorerst strenger zu agieren, als sich später Nachlässigkeit vorwerfen zu lassen, ist nachvollziehbar. Selbst, wenn man eingewichtet, dass damit die größte Wirtschaftskrise der letzten Jahrzehnte sehenden Auges in Kauf genommen wurde. Geschenkt. Bei einer potenziellen Pandemie müssen Gesetze und Verordnungen schnell beschlossen und angewendet werden. Alleine auf freundliche Appelle und motivational speech zu setzen, wäre zu riskant. Dieser Text ist kein Plädoyer für eine Laissez-faire-Position, die ausschließlich auf Eigenverantwortung setzt, sondern eine Kritik, dass dieser Eigenverantwortung viele Möglichkeiten zur Entfaltung geraubt wurden.
In der Kommunikation wurden von der Regierung seit Beginn des Jahres schwere Fehler gemacht. Die Strategie bestand – und das war seit der ersten Pressekonferenz im März klar – darin, den Menschen möglichst genau vorzuschreiben, wie sie leben sollen und nicht darin, ihnen jene Grundlagen zu bieten, die Entscheidungen der Regierung auch zu verstehen, für sich zu akzeptieren und aus freien Stücken anzuwenden. Solidarität erfordert Freiwilligkeit. Es wäre eine Chance gewesen, Vertrauen in die Regierung aufzubauen, das nun erodiert und im Peak der Wirtschaftskrise vollständig verblasen sein wird.
Sechs Charakteristika für ein Multikommunikationsversagen, die trennweich in einander übergehen:
1. Autoritäre Feststellung
Vom Start weg verzichtete die Regierung darauf, die Evidenz und deren dürre Qualität für ihre Entscheidungen offen zu erklären. Einzugestehen, dass man nicht genau weiß, was zu tun ist, weil man auch in einer veritablen Datenkrise steckt, war offensichtlich keine Option.
Was in den Augen der Regierung gerade als sinnvoll erschien, wurde einfach per Verordnung durchgesetzt und in einem Stil vermittelt, der dem Duktus jener Eltern entspricht, die in Kindern ihre Untergebenen sehen: „Du wirst dein Zimmer aufräumen.“ Das Modalverb „müssen“ wird ausgespart; es besteht kein Zweifel, dass es passieren wird. “Ich, Sebastian Kurz, spreche es aus und es wird geschehen: ‘Veranstaltungen mit mehr als 100 Besuchern werden abgesagt.’“
2. Verwirrende Verbote
Welche Maßnahmen zur Verlangsamung der Ausbreitung von Sars-CoV-2 führen, ist eigentlich nicht schwer zu verstehen: Hygiene und Abstand halten. Das zu vermitteln, versäumte man freilich nicht, aber ob eine Maßnahme mit milderen Verboten auch wirken kann, wurde nicht an der Praxis überprüft. Grundrechte wurden schnell und ohne Diskussion außer Kraft gesetzt. Zunächst zaghaft gezogene Begrenzungen (Veranstaltungen mit maximal 100 Personen) wurden stufenweise zurückgezogen, verengt und damit Verwirrung gestiftet.
Mit schmerzhaften Strafen und Exekutivbeamten, die weit über die Grenzen der neuen Regelungen hinaus agierten, wurden die Maßnahmen mit staatlicher Gewalt in das Bewusstsein der Bevölkerung gedrückt. Private Besuche (despektierlich als „Coronapartys“ bezeichnet) sollten verboten werden. Sogar die Nachschau im Privatbereich war geplant.
3. Drama, Baby
Die möglichen Konsequenzen einer COVID-19-Pandemie wurden nicht auf Basis realistischer Szenarien politisch abgewogen, sondern mit Überhöhungen dramatisiert und außer Diskussion gestellt. Der Kanzler prognostizierte Opferzahlen in sechsstelliger Höhe, die auch bei sehr unglücklichem Verlauf und vollständiger Durchseuchung der Bevölkerung nicht eingetreten wären. Selbst wenn es die sprachliche Hausnummer war, wäre deren Rezitation für einen Bundeskanzler, der höchstpersönlich durch die Krise führen will, völlig unverantwortlich. Es gibt in diesem Ausnahmezustand keinen Spielraum für rhetorische Übertreibung und Werbewortwahl. Precision is key.
Und der Vizekanzler ist um keinen Deut besser. Er schickt Newsletter aus, die vom „Wiederaufbau” sprechen. Ein Wort, das im allgemeinen Sprachgebrauch die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg einnimmt. Welche Analogie wird hier konstruiert? Österreich war nazideutscher Mittäter und aktuell steuert Kogler mit dem Rest der Regierung das Land energisch in die größte Wirtschaftskrise der letzten Jahrzehnte, um es dann wieder aufbauen zu können? Die Pandemie ist im Gegensatz zu Klimawandel und Weltkrieg nicht menschgemacht. Den Wiederaufbau euphorisch für etwas zu bemühen, was vorher als Mega-Kollateralschaden Teil der geplanten Strategie war, wirkt etwas wahnhaft.
4. Politik der Paranoia
Die Regierungsmitglieder vermischen in ihren Pressepredigten die Absichten hinter ihren Verordnungen mit den tatsächlichen Texten, ihren Interpretationen, unverhohlenen Drohungen und konstruieren Angstbilder mit dem Ziel, die Bevölkerung um den Preis der eigenen Glaubwürdigkeit einzuschüchtern. Wie sollen Verordnungen und Empfehlungen von der Bevölkerung auch auseinandergehalten werden, wenn sie nicht einmal von Innenminister Nehammer und Gefährten sinngetreu wiedergegeben werden können?
Die Verordnung der Ausgangssperre wurde mit einem Text abgefasst, der dermaßen schlampig formuliert war, dass selbst Juristen diametraler Meinung waren, ob denn nun der Freigang und Besuche bei Freunden, Familien und Fremden überhaupt erlaubt waren oder nicht.
5. Falscher Fokus
Der Maßnahmenfokus wurde fahrlässig falsch gesetzt. Durch die Ausgangssperre wollte man eigentlich die Anzahl der persönlichen Kontakte minimieren. Das ist ein drastisches Mittel mit unzweifelhafter Wirkung. Wer zwischen sich und seine Freunde eine Wand stellt, vermeidet physische Nähe effektiv. Viele Menschen folgten in ihrem Handeln dem Motto des Hashtags #staythefuckathome aber so, als würde die bloße Tatsache des Zuhausebleibens das Virus eindämmen. Der Verdacht, dass damit das eigentliche Ziel (Abstandhalten) aus den Augen verloren wurde, bestätigte sich mit der Lockerung des Lock-Downs. Das willkommene Ende des Hausarrests wurde durch freudige Wiedersehen und exzessive Renormalisierung abgefeiert, obwohl die Wichtigkeit des Abstandhaltens sich bestenfalls so graduell reduziert hat wie die Reproduktionszahl. Die Menschen hielten sich einfach ans zu Hause bleiben, anstatt das eigentlich sinnvolle Abstandhalten einzuüben. Die Orientierung des Verhaltens erfolgt nicht daran, was zielführend, sondern was gerade erlaubt ist.
6. Selbstdarstellung
Die Regierung praktiziert seit Anfang März einen schwarzgrünen Schulterschluss. Dass die Opposition dabei geflissentlich ignoriert wird, gehört zum politischen Alltag, der auch mit dem Coronavirus nicht in eine Neue Normalität der Überparteilichkeit übergegangen ist. Aber auch Experten lässt die Regierung nur zaghaft zu Wort kommen. Nicht nur Naturwissenschaftler – Virologen, Epidemiologen und Mathematiker sind dieser Krise inhaltlich alleine nicht gewachsen –, auch Ökonomen, Rechtsphilosophen oder Verfassungsjuristen wären bei einem echten nationalen Schulterschluss wesentliche Teilhaber einer öffentlichen Debatte. Aber diese Bühne besetzt die Regierung lieber alleine. In einer positiven Sicht tragen die Politiker dann auch sichtbar die Verantwortung für die Führungsrolle und Kommunikationsaufgabe, die sie sich allumfassend selbst erteilt haben. Es würde mich aber nicht wundern, wenn steigende Arbeitslosigkeit, Wohlstandsverluste und fortgesetzte Freiheitsminderung in Folge umstandsfrei und fälschlich dem Virus und nicht den politischen Entscheidungen zugeschrieben werden.
Die Regierung hat nicht nur individuelle und unternehmerische Freiheiten eingeschränkt, sie hat auch den persönlichen Ermessensspielraum eigenverantwortlicher Selbstbestimmung durch Gedanken, Worte und Werke zurückgedrängt. Die selbständige Auseinandersetzung mit den Ursachen und Schäden des Ausnahmezustands wurde graduell der Vollziehung eines Amalgams aus Verordnung und Empfehlung bei Strafandrohung oder kurz „Regierungskommunikation“ unterworfen – zu Lasten einer Bevölkerung, die tatsächlich die Folgen dieses Krisenkomplexes tragen wird.