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I           Religion im Staat
Das Verhältnis von Staat und Religion hat im Lauf der Geschichte eine Vielzahl von Ausprägungen ausgebildet. Dabei ist ein Trend zur Säkularisierung und Trennung von Staat und Religion in demokratischen Staaten klar erkennbar, auch wenn sich daraus keine Gesetzmäßigkeit ableiten lässt. Die Stellung von Religion im Staatswesen deckt jedenfalls global gesehen auch im 21. Jahrhundert noch immer das ganze Spektrum an Ausformungen ab: von Staatsreligion bis Laizität.
Zwischen diesen beiden gegenüberliegenden Polen befinden sich ineinander übergehende Formen von Staatsreligions- bzw. Staatsreligionen-Systemen.
a) Staatsreligion
Religionen haben in der Gesellschaft immer eine Vielzahl an Funktionen erfüllt, die sich an einer Zeitachse des Lebens an den Fragen orientieren: Woher kommen wir? Wie sollen wir leben? Wohin gehen wir? Religionen erklären die Welt, sie geben Regeln und Anweisungen für das Zusammenleben und beantworten die Frage, was nach dem Ende des Lebens kommt.
Während (oder vielmehr weil) sich die Fragen nach dem Woher und Wohin auf natürliche Phänomene beziehen und zumindest theoretisch überprüfbar sind, zieht sich die Religion hier immer mehr auf Umstände zurück, die sich dieser Überprüfungen weitgehend entziehen, d. h. Religionen reduzieren sich in ihren Erklärungsmodellen der Natur heute oft auf den Zustand vor dem Urknall und nach dem Tod, in dem die Empirie vermutlich an ihre natürliche Grenze stößt. Naturwissenschaftliche Phänomene im gegenwärtigen Diesseits sind in den religiösen Erklärungsmustern ausgespart. Für das Hier und Jetzt beschränken sich die Religionen darauf, Handlungsvorschriften abzugeben. Diese Gesetze, die das Zusammenleben regeln, sind unverrückbar. Götter geben keine Anleitungen, wie die Gesetzgebung flexibel und der zeitgemäß von statten zu gehen hat; sie machen die Gesetze kurzerhand selbst und schicken sie in Form von Steintafeln oder Visionen auf die Erde. Als Medium für diesen Informationsfluss fungieren dann Menschen, Priester, Geistliche bzw. Klerus. Die göttlichen Handlungsanleitungen für das menschliche Zusammenleben werden von Menschen interpretiert, geändert und kontrolliert. Dass das in allen Religionen passiert, ist so offensichtlich, dass es nicht weiter erklärt werden muss.
Kurz: wer die Regeln kontrolliert, kontrolliert die Gemeinschaft, die sich diesen Regeln unterwirft oder unterwerfen muss. Und wer den Klerus kontrolliert, kontrolliert die Regeln. Ein Herrscher, der durch den Klerus (von Gottes Gnaden) legitimiert ist und seine Religion zur Religion des Volkes macht, kann neben weltlichen Sanktionen auch noch das Jenseits für seine Zwecke geltend machen.
Das ist das Wesen der Staatsreligion.
Die weltliche Macht wird aus einer übernatürlichen Sphäre legitimiert, die nicht in Zweifel gezogen wird. Das Übernatürliche kann per definitionem nicht überprüft werden. Es ist der Empirie nicht zugänglich. Die Vertreter der Übernatürlichkeit, also des Klerus, leben in Symbiose mit der weltlichen Macht. Ihre einzige Aufgabe ist es, die weltliche Herrschaftslegitimation festzustellen. Der König wird, wenn dieser nicht ohnehin auch Oberhaupt der Kirche ist, vom Klerus gesalbt. Das ist dann für die auch dergestalt Herrschenden die einzige echte Funktion der Religion im Staatswesen.
Auch wenn diese Konstellation ein wenig antiquiert klingt und auch schon über die letzten Jahrtausende praktiziert wurde, existiert dieses Prinzip der Staatsreligion noch in vielen Ländern. Die tatsächliche Ausformung ist aber sehr unterschiedlich und reicht von einem formalen Zusammenfall der Oberhäupter (z. B. im UK, bis vor kurzem auch in Norwegen) in sonst demokratischen, säkularen Staaten bis hin zu einem sehr strikten System, das auch politisch die „wahre Religion“ durchsetzt – einhergehend mit der Unterdrückung Andersgläubiger.[1]
Letzteres ist als echte Staatsreligion nur mehr in islamischen Ländern anzutreffen, wo dann aber auch die volle Konsequenz (oder besser in diesem Fall: Härte) religiöser Gesetze, also der Scharia zutrifft. So wird beispielsweise Atheismus in 13 islamisch geprägten Ländern, Homosexualität in sieben islamisch geprägten Ländern immer noch mit dem Tod bestraft.
Bezugnehmend auf die Frage „Gibt es einen Gott?“ verhält sich der Staat nicht neutral, sondern bekennt klar: „Ja, es gibt einen Gott“. Stünde der Staat dieser Frage offen, neutral bzw. indifferent gegenüber, gäbe es eben keine Bevorzugung einer bestimmten Religion. Jede Antwort, die anders als „ja“, also auch „nein, vielleicht oder die Antwort auf dieses Frage ist uns nicht zugänglich“ lautet, würde ja eine Staatsreligion ad absurdum führen.
 


[1] Vgl. dazu http://de.wikipedia.org/wiki/Staatsreligion
 


weiter: Teil 3 – Religion im Staat – Synkretistisches Staatsreligionenmodell


 
Inhalt
Teil 1 – Laizität – Der agnostische Staat
Abschnitt I: Religion im Staat

Teil 2 – Religion im Staat – Staatsreligion

Teil 3 – Religion im Staat – Synkretistisches Staatsreligionenmodell

Teil 4 – Religion im Staat – Laizität

Abschnitt II: Lassen sich Sonderrechte für Religion auch im sonst laizistischen Staat begründen?

Teil 5 – Sonderrechte für Religion

Teil 6 – Was unterscheidet Religion von anderen kulturellen Ausprägungen?

Teil 7 – Gesellschaftliche Wirkung von Religion

Teil 8 – Wie soll eine moderne Demokratie das Verhältnis zu Religion und Weltanschauung ausgestalten?