Volksbefragung: Deal with it!

 
Die Kernfrage lautet: Darf ein Staat seine Bürger zur Arbeit zwingen?
Am Sonntag wird nicht entschieden, ob wir ein Bundesheer brauchen oder haben wollen. Es wird auch nicht entschieden, wie dieses Bundesheer aussehen soll, sondern ob Menschen zur Arbeit verpflichtet bzw. gezwungen werden dürfen.
Den Regierungsparteien wird gerne – und auch völlig zurecht – vorgeworfen, dass die Volksbefragung reines Politmarketing und Wahltaktik ist: Es gibt hüben wie drüben keine Konzepte, niemand weiß worüber genau abgestimmt wird, was die (auch noch nicht) vorliegenden Konzepte kosten werden etc. (siehe Benedikt Narodoslawsky) Die Kritik wird dann noch mit der eigenen Agenda oder Grundsatzfragen verbunden: Brauchen wir überhaupt eine Wehrpflicht? Welche Aufgaben soll das Bundesheer erfüllen etc.
Der Schluss, der daraus gezogen wird, gipfelt sehr oft in der Empfehlung die Volksbefragung überhaupt zu boykottieren, weil nicht abgefragt wird was viele zu recht auch noch geklärt haben wollen.
Das halte ich für falsch.
Deal with it!

Zivildiener (Symbolfoto)
Zivildiener (Symbolfoto)

Denn, mehr zufällig als vorsätzlich, hat sich in diese Volksbefragung eine weitreichende Fragestellung integriert:
Darf ein Staat seine Bürger zur Arbeit zwingen?
Die fundamentalen Fragen zum Bundesheer, über seine prinzipiell Notwendigkeit, seine Finanzierung, seine Beschaffenheit usw. müssen natürlich alle auch gestellt werden. Doch das ist tatsächlich unabhängig von der Frage der Wehrpflicht. Bei aller Unredlichkeit von SPÖ und ÖVP über das Zustandekommen dieser Volksbefragung (siehe Andreas Koller), halte ich die vorliegende Fragestellung für eine wesentliche demokratische Grundsatzentscheidung.
Das wird in der öffentlichen Debatte allerdings nicht wahrgenommen, während die Empörung sich wie so oft auf die Symptome konzentriert, anstatt im Rahmen der tatsächlich vorliegenden Möglichkeiten den Kern der Frage zu diskutieren, die eben nicht lautet, ob wir ein Bundesheer brauchen – das wird in dem Fall als legitimer Status Quo ja vorausgesetzt –, sondern ob ein Staat Zwangsdienst (siehe Gerald Czech) abverlangen darf.
Es geht tatsächlich nur um diese prinzipielle Entscheidung, denn die Rahmenbedingungen sind bei näherer Betrachtung völlig unerheblich. Wer Finanzierung als Argument vorbringt, wird damit immer verlieren. Alle mir bekannten Argumente sind ausnahmslos auf die Finanzierung reduzierbar. Die Erhaltung der Kasernen, des Zivildienst etc. sind mit Kosten verbunden und schlussendlich ginge es dann wieder nur darum, ob die Bürger ihren Beitrag in Form einer Steuer oder Arbeitsleistung erbringen. Die Wehrpflicht, die Zivildienstpflicht, jede Form der Arbeitspflicht sind de facto schlecht bezahlte (siehe Anita Zielina) Ersatzleistungen für die Entrichtung einer Steuer, von der im Moment sehr viele Menschen auf Grund ihres Geschlechts, sowie ihres Alters, ihrer körperlichen und geistigen Verfasstheit befreit sind.
Das ist undemokratisch.
Wenn alle ihren Beitrag leisten sollen, dann sollen ihn bei Beibehaltung der Wehrpflicht auch wirklich alle leisten. Und zwar wirklich alle. Alle umfasst auch jene, die bis jetzt noch nicht(s) geleistet haben (d. h. Frauen und Untaugliche) und auch rückwirkend (d. h. ab einem Mindestalter ohne Altersbegrenzung). Es gibt mit Sicherheit für jeden und jede etwas zu tun in diesem Land.
Ich bezeichne die Wehr- und Zivildienstpflicht als Zwangsarbeit. Das ist kein semantischer Hütchenspielertrick à la Spindelegger, der die Wehrpflicht analog zur Schulpflicht sehen will, die sich in der Ausprägung des Pflichtbegriffes, doch sehr deutlich unterscheidet, sondern es ist eine Konsequenz aus der Beantwortung der grundsätzlichen Fragestellung: Darf ein Staat seine Bürger zur Arbeit verpflichten? Und darf er, wenn sie dieser Pflicht nicht nachkommen und keine Ersatzleistung in Form einer Ablasszahlung angeboten wird, seine Bürger mit Freiheitsstrafen belegen?
Nein. Er darf nicht. Zwang ist in demzufolge ein angemessener Begriff. Im 21. Jahrhundert ist in einer europäischen Demokratie kein Platz mehr für einen kollektivistischen Nationalarbeitsdienst. Die Herausforderungen, die sich aus den noch zu diskutierenden Notwendigkeiten von Bundesheer und Zivildienst ergeben, können heute außerdem besser gelöst werden. Und das ist unabhängig davon, dass das Konzept einer Arbeitsverpflichtung eine demokratische Grundsatzentscheidung ist.
Ich verstehe nicht, warum die Wichtigkeit dieser Frage mit weinerlichen Rufen nach der Abschaffung eines Bundesheeres übertüncht wird, dessen Aufgaben und Neuorientierung ja tatsächlich auch nach der Beschlussfassung über eine Systemänderung diskutiert werden können. Wer sich der Abstimmung verweigert, will, dass alles so bleibt, wie es ist (siehe Christian Wagner).
Ich stimme gegen die Wehr- und Zivildienstpflicht.

11 Comments

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January 17, 2013 at 12:42

Ich bin gegen die Beibehaltung der Wehrpflicht. Den Gedanken eines verpflichtenden bezahlten Sozialjahres für die Gesamtbevölkerung halte ich dagegen für eine Notwendigkeit. Leider lässt sich dafür nicht abstimmen.
Natürlich geht es hier auch um eine angemessene Bezahlung. Vor allem sehe ich darin aber eine einmalige Möglichkeit sämtliche Bevölkerungsschichten an einem kollektiven Projekt teilhaben zu lassen. Das ist gelebte Integration und Auseinandersetzung mit einer Lebensrealität, wie sie weder in der Schule noch im späteren Leben in dieser Form stattfinden kann.
Von daher das geringere Übel: Freiwilliges Sozialjahr, aber bitte attraktiv bezahlen und dadurch einem derartigen Dienst auch eine gewisse finanzielle Wertschätzung zukommen lassen.

January 17, 2013 at 12:48

Ich bin auch gegen jede Form der Zwangsverpflichtung (siehe hier: http://www.werquer.com/blog/2013/01/wehrpflicht-mein-nein-ist-kein-ja-zu-einem-falschen-verstandnis-von-direkter-demokratie/). Eines sollte man bei der ganzen aufgeregten Diskussion nicht vergessen: Auch wenn SPÖ und ÖVP versprechen, dass das Ergebnis der Befragung umgesetzt werden soll: Dafür braucht es eine 2/3 Mehrheit im Parlament.

January 17, 2013 at 13:13

Sehr richtig, Werner! Ein weiterer Hinweis darauf, dass es sich wirklich um pure werbliche Inhaltsgenerierung für einen Wahlkampf handelt, dessen Ergebnis eine neue Regierung sein wird, die sich an nichts gebunden hält.

Thomas Zehetbauer
January 17, 2013 at 14:21

Sehe das ganz ähnlich. Wäre die Wehrpflicht keine Zwangsarbeit, wie Spindelegger und glauben machen will, bräuchte es dafür auch keine Ausnahme beim Verbot von Sklaverei und Zwangsarbeit in der Menschenrechtskonvention.
Besonders grauslich: Pfarrer die schon als Theologiestudenten von der Stellungspflicht befreit sind und nun Werbung für die Wehrpflicht machen. Frei nach dem Motto: “Du sollst nicht töten, aber es ist OK, andere dazu zu zwingen”
http://www.hostmaster.org/wehrpflicht_abschaffen

January 17, 2013 at 14:40

Die Volksbefragung zur Wehrpflicht ist für mich nicht mehr als ein extrem polarisierender Wahlkampfköder, ein guter Schachzug von SPÖVP in Richtung einer pseudodirekten Scheindemokratie.
Auf der einen Seite geht es um die Legitimation des Altbekannten und des Ungewollten, andererseits kann die Abschaffung der Wehrpflicht dem Aufbau einer Söldnertruppe und damit für zukünftige Kriegseinsätze – natürlich unter dem Deckmantel “UN-Hilfseinsatz/humanitäre Intervention” – als politische Rechtfertigung dienen. Für den Staat ein Nullsummenspiel?
Deshalb wäre ich für eine echte Volksabstimmung mit der Frage “Soll die Wehrpflicht abgeschafft und statt Heer und Zivildienst freiwillige soziale Arbeit und professionelle Katastrophenhilfe gefördert werden? Ja oder nein?”.

onebrick
January 17, 2013 at 14:59

Gemäß der EMRK gibt es die Möglichkeit die Bevölkerung zum Zwangsdienst zu verpflichten nur für ganz wenige Zwecke. Wehrdienst ist einer davon. Bei genauerem Hinsehen wird das nur für die territoriale Verteidigung anwendbar sein.
Allein die Tatsache, dass die Bundesregierung – die mit der Durchführung der Landesverteidigung als Exekutive betraut ist – eine Volksbefragung in die Wege leitet, die eine Abschaffung der Wehrpflicht als Option beinhaltet, beantwortet die Frage, ob die Landesverteidigung auch ohne Wehrpflicht organisiert werden kann eindeutig mit “Ja”.
Damit ist die Rechtfertigung für den Rückgriff auf einen Zwangsdienst bereits gefallen.
Gleichgültig, mit welchem Ergebnis die Volksbefragung zu Ende geht – allein ihre Existenz zerstört bereits die Grundlagen für eine Wehrpflicht.
Was die laufende Debatte angeht: ich bin schockert, mit welcher Selbstverständlichkeit viele Mitbürger – darunter auch zahlreiche Politiker – sich berechtigt fühlen, in das Leben anderer Menschen einzugreifen.

January 17, 2013 at 16:33

Einerseits muss ich dir Zustimmen. Die Abstimmung ist eine reine Farce! Keine der politischen Parteien scheint auch nur ansatzweise Ideen zu haben wie es nach der Volksbefragung weitergehen soll. Konzept also gleich null.
Das ein Boykott der Volksbefragung mit Sicherheit die schlechteste Variante wäre kann ich ebenfalls befürworten.
Allerdings finde ich das man es mit der Zwangsverpflichtung nicht nur negativ sehen darf.
Das System ist veraltet und nicht mehr tauglich bzw. zeitgemäß. Der Grund warum es überhaupt zu einer Volksabstimmung gekommen ist, ist wohl jener das die politischen Parteien überhaupt keinen Plan haben wie ein modernes Heer aussehen könnte.
Meiner Meinung nach sollte JEDER Österreicher ein Jahr Sozialdienst verrichten. Ganz egal ob Betreuung von Pflegebedürftigen, Teilnahme an Unterstützungsaktionen (Hochwasser…), oder freiwilliger Feuerwehr…
So sehr ich auch an den Grundfesten der freien Entscheidung hänge, sollten wir auch nicht gänzlich vergessen das es jedem Österreicher auch freisteht diverse Sozialleistungen in Anspruch zu nehmen.
Einen direkten Vergleich mit Sklaverei, finde ich also etwas übertrieben.
Ich selbst werde mit “Fragestellung unklar” abstimmen!

January 17, 2013 at 21:16

onebrick. Sehr interessanter Gedankengang!

kybernetes77
January 19, 2013 at 22:45

In der Debatte rund um Wehrpflicht vs. Berufsheer habe ich nur sehr wenige (ich kann mich konkret eigentlich an gar keine) Argumente vernommen, wo ich den Eindruck hatte, sie wurden einer sachlichen Objektivierung unterzogen.
Das Zwangsarbeits-Argument ist eines davon. Versucht man es mit anderen Pflichten zu vergleichen – wie Haftpflicht, Treuepflicht, Steuerpflicht, Verschwiegenheitspflicht, Mitteilungspflicht, Schulpflicht – um nur eine Pflichten für Staatsbürger zu nennen, vernimmt man selbst von intellektuell anmutenden Wehrpflicht-Gegnern wir Robert Misik als Gegenargument ein schlichtes “das ist einfach dumm, das zu vergleichen”.
Aha. Nun ja, mag sein, dass diese geballte Kompetenz manche überzeugen mag. Ich denke, dass selbst viele Parteisoldaten der SPÖ wie Misik von der vom Zaun gebrochenen Volksabstimmung überrascht wurden. Und daher zum Wohle der Parteiräson lieber zuerst an die Öffentlichkeit gingen anstatt sich erst mal in Ruhe Gedanken zu machen. Dazu passt auch das ganze Bild, dass die SPÖ österreichweit vermittelt: Durchwachsen. Wie man das heute nennt. Ein einziges Chaos, zumal die Positionen ÖVP-SPÖ sich um 180° gedreht haben. Das ging einigen wohl zu schnell. Mich würde auch interessieren, wie viel Geld (Berater) geflossen ist und bei einer Umstellung fließen wird – Stichworte Rüstungsaufträge, Eurofighter, Mennsdorff…
Aber zurück zur Zwangsarbeit. Die Wehrpflicht mit Zwangsarbeit zu vergleichen ist ebenso absurd wie Sklaverei-Argumente. Amnesty International wehrt sich z.B. vehement gegen die Inflationierung des Begriffs durch manche Menschenrechtsorganisationen. Der Grund: Echte Sklaverei gibt es noch. Und so schrecklich manche Arbeitsverhältnisse und Ausbeuter seien mögen: Es besteht immer noch ein drastischer Unterschied zwischen Sklaverei und Ausbeutung. Wer jedes unschöne Dienstverhältnis mit Sklaverei oder Zwangsarbeit vergleicht, verhöhnt die Opfer echter Sklaverei und verhindert deren Bekämpfung. Das gleiche gilt für Zwangsarbeit.
Betrachten wir “Zwangsarbeit” in Österreich mal genauer: Die Schulpflicht. Ich wage diesen Vergleich. Warum? Weil es noch eine “Zwangsarbeit” in Österreich gibt, nämlich das ganz normale Dienstverhältnis, das rechtlich durch das Arbeitsrecht geregelt ist. Und nun vergleichen wir mal alle 3 “Zwangsarbeiten”: Schulpflicht, Dienstverhältnis und Wehrpflicht. Die Schulpflicht unterliegt nicht dem Arbeitsrecht. Vieles, was Schüler machen müssen oder ihnen “angetan” wird, würde krass gegen das Arbeitsrecht verstoßen. Dienstverhätnisse wiederum bleiben selbst während der Wehrpflicht aufrecht. Die Wehrpflicht ist im Wehrgesetz (u.a.) geregelt – und was mich schon immer überrascht hat: es ist teilweise liberaler als das Arbeitsrecht! Selbst die Gehorsamspflicht ist im WG relativierter als im Arbeitsrecht!
Vergleichen wir also Schulpflicht, Dienstverhältnis und Wehrpflicht, so ergibt sich genau diese Rangfolge bei der Frage: Was ist eher “Zwangsarbeit”?
Last but not least sei auf Art 4 der Menschenrechtskonvention verwiesen (http://dejure.org/gesetze/MRK/4.html) – damit mal alle runter kommen von der künstlich aufgebauschten Aufregung.

jimmyblue
January 20, 2013 at 01:18

alleine für die dämliche “wos recht hat, hats recht” werbung, und für das damoklesschwert: “frauen könnten durch die EU gleichbehandelt werden” werde ich PRO wehrpflicht wählen. auch wenn der zirkus von einem heer entbehrlich ist.

metepsilonema
January 20, 2013 at 23:28

Darf ein Staat seine Bürger zur Arbeit verpflichten?
Ist die Art und Weise der Fragestellung nicht symptomatisch, ja fast verräterisch? Dass man sofort auf Pflicht und Zwang verfällt, auch von politischer Seite, zeigt das nicht, dass die Begriffe von Gemeinschaft und noch viel mehr: Gemeinwesen, nicht einmal mehr rudimentär gedacht werden können? — Muss man nicht anders fragen? Egal zu welcher Entscheidung man gelangt, wenn ich mich als Bürger und Teil eines Gemeinwesen betrachte, das Politik auf eine bestimmte Art und Weise verhandelt, das mir Mitgestaltung erlaubt und auf Gewaltenteilung beruht, das Menschenrechte und Meinungsfreiheit gewährt, Asyl für politisch Verfolgte, soziale Absicherung, und vieles mehr, und wenn ich mich weiter frage, ob ich breit wäre dieses Gemeinwesen, im äußersten Fall von Not, gegen einen Angreifer, der (womöglich) all das mit Füßen tritt, zu verteidigen, ich sagte vielleicht: Nein, mein Leben ist mir wichtiger, aber diese (vermeintliche) Pflicht, dieser Zwang, übersieht man dabei nicht eine ganze Menge schon viel zu selbstverständlich gewordener Angelegenheiten, ist das nicht fast schon, ja: undankbar?

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