Dieser Text erschien als Beitrag im Buch “Kirche – Konten -Konkordat” (Leo Prothmann, Hrsg. – erhältlich u. a. bei Amazon).
Kirche - Konten - Konkordat
 
Inhalt
Teil 1 – Laizität – Der agnostische Staat
Abschnitt I: Religion im Staat
Teil 2 – Religion im Staat – Staatsreligion
Teil 3 – Religion im Staat – Synkretistisches Staatsreligionenmodell
Teil 4 – Religion im Staat – Laizität
Abschnitt II: Lassen sich Sonderrechte für Religion auch im sonst laizistischen Staat begründen?
Teil 5 – Sonderrechte für Religion
Teil 6 – Was unterscheidet Religion von anderen kulturellen Ausprägungen?
Teil 7 – Gesellschaftliche Wirkung von Religion
Teil 8 – Wie soll eine moderne Demokratie das Verhältnis zu Religion und Weltanschauung ausgestalten?
 


Teil 1

Der agnostische Staat

Es liegt in der Natur des Menschen, Zustände und Systeme, die sind, wie sie eben sind und zumindest in der persönlichen Lebensspanne und im Ereignishorizont lebender Generationen schon immer so waren – sich also scheinbar bewährt haben – nicht zu hinterfragen. Bestand und Tradition sind in der Regel Argumente, alles so beizubehalten, wie es eben ist. Wenn es etwas gibt, das ganz offensichtlich funktioniert, warum sollte man es ändern? Änderung bringt Unsicherheit und dieses Gefühl mögen Menschen nicht.
Das Verhältnis von Staat und Religion ist genau so ein Zustand, der sich den Versuchen einer Neubewertung mit Verweis auf die offensichtliche Richtigkeit der Verhältnisse durch Bestehensdauer entzieht. Anlässe für eine notwendige Evaluation ließen sich an dieser Stelle leicht aufzählen, aber genauso wie die Existenz eines Systems kein ausreichendes Argument für sein Weiterbestehen ist, sind auch einzelne negative Ereignisse für sich genommen noch keine Beweisführung für einen gesellschaftlichen Systemfehler. Sie bieten aber immer einen Anlass, darüber nachzudenken.
Ich versuche also, mich dem Verhältnis von Staat und Religion an dieser Stelle zunächst prinzipiell, unvoreingenommen und damit unbelastet von Vorfällen der jüngeren Vergangenheit im Kontext organisierter Religion zu nähern.
Im ersten (I) Abschnitt „Religion im Staat“ widme ich mich den zentralen Fragen: Welche Möglichkeiten hat der Staat dem gesellschaftlichen Phänomen Religion zu begegnen? Welche Systematiken gibt es hier? Muss ein Staat die Frage nach dem Wahrheitsgehalt religiöser Inhalte beantworten?
Im zweiten (II) Abschnitt („Lassen sich Sonderrechte für Religion auch im sonst laizistischen Staat begründen?“) versuche ich unter der Prämisse, dass der Staat weltanschaulich-religiöse Neutralität verwirklichen will, zu erörtern, ob es dennoch Gründe gibt, religiöse Weltanschauungen anders zu behandeln (konkret: gesetzlich zu privilegieren bzw. zu diskriminieren) als nicht-religiöse Weltanschauungen.
 


weiter: Teil 2 – Religion im Staat – Staatsreligion